Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
Vom Netzwerk:
Schauspieler und Flieger, die Professoren, Studenten und Ärzte nichts anderes als eben «Kleinbürgertum».) Oder mit des Räuberhauptmanns groß angelegtem Plan: die einen auszuplündern, die andern einzuschüchtern?
    Aus den letzten Briefen Korolenkos an Gorki vom Jahre 1921, bevor der erste starb und der zweite emigrierte, erfahren wir, daß der Raubzug gegen die Bauernschaft bereits damals anfing und in ganz ähnlicher Form abgewickelt wurde wie später 1930.
    Noch überstieg aber die Verwegenheit ihre Kräfte – sie pfiffen zum Rückzug.
    Die mörderische Bauernpest brach, soweit es sich beurteilen läßt, im Jahr 1929 an; schon wurden Vertilgungslisten erstellt, Besitzungen beschlagnahmt, die Aussiedlung begonnen. Doch erst 1930 wurde der bereits durchprobte und reibungslos funktionierende Vollzug durch ZK-Beschluß vom 5. Januar öffentlich kundgetan (die Partei sehe sich «mit gutem Grund veranlaßt, in ihrer praktischen Arbeit von der Politik der Einschränkung der ausbeuterischen Tendenzen des Kulakentums zur Politik der Liquidierung des Kulakentums als Klasse überzugehen»).
    Wieder trat das ungeheuerliche (und wie mir scheint unrussische) Gesetz des Bürgerkrieges in Kraft: Zehn für einen! Hundert für einen! (Wann hat es in der russischen Geschichte derlei gegeben?) Für einen in Notwehr getöteten Aktivisten (meist waren es Faulenzer, Schwätzer; A. J. Olenew ist nicht der einzige, der sich erinnert, daß Diebe und Säufer den Kampf gegen die Kulaken anführten) wurden Hunderte Bauern vernichtet, die allerfleißigsten, tüchtigsten, wachsten, jene, die das Rückgrat der russischen Nation gebildet haben.
    Wie denn? Was denn! ruft man uns entgegen. Und die Ausbeuter? Die Halsabschneider, die dem Nachbarn Geld liehen, um ihm danach das Fell über die Ohren zu ziehen?
    Es stimmt. In geringer Zahl fielen auch dörfliche Ausbeuter unter die Mahd (ob jedoch alle?). Eine Gegenfrage sei jedoch auch uns gestattet: Die Halsabschneiderei – war sie denn angeboren, blutsbedingt? Oder erworben, weil jeder Reichtum (und jede Macht) die Eigenschaft besitzt, den Menschen zu verderben! Ach, wär es doch so einfach, die Menschheit oder einen Stand zu «säubern»! Wenn aber die Bauernschaft mit dem eisernen, engzahnigen Kamm so gründlich von den herzlosen Blutsaugern gesäubert worden ist, daß dafür fünfzehn Millionen nicht zu schade waren – woher stammen dann im heutigen Kolchosdorf die bösen, rotgesichtigen Dickwänste, die darin (und im Bezirk) das Regiment führen? Die die alleingebliebenen alten Weiblein bis aufs Letzte aussaugen und jeden, der hilflos ist, drangsalieren? Wieso war denn dieses Raubtiergeschlecht bei der «Entkulakisierung» übersehen worden? O du meine Güte, sind’s nicht gar von den damaligen Aktivisten welche? …
    Leicht läßt sich das Prinzip der Entkulakisierung an Kinderschicksalen verdeutlichen. Hier der kleine Schura Dmitrijew aus dem Dorf Masleno (den sogenannten Selitschensker Kasernen am Wolchow). 1925 war er, damals dreizehn, nach dem Tod seines Vaters Fjodor als einziger Sohn unter lauter Schwestern zurückgeblieben. Wer sollte Vaters Hof weiterführen? Er packte zu. Die Mädchen und die Mutter gehorchten ihm. Wie ein erwachsener Bauer wurde er nun auf der Dorfstraße von Erwachsenen gegrüßt. Er verstand es, das Werk des Vaters redlich fortzusetzen und hatte 1929 genug Vorrat in den Getreidespeichern liegen. Na eben: ein Kulak! Die ganze Familie wurde fortgeschafft! …
    Adamowa-Sliosberg erzählt sehr rührend über eine Begegnung mit dem Mädchen Motja, das 1936 ins Gefängnis geriet, weil es unerlaubt aus der Verbannung ins heimatliche Dorf gewandert war – zweitausend Kilometer vom Ural bis nach Swetlowidowo bei Tarussa und zu Fuß –, eine Sportauszeichnung hätte ihr dafür gebührt! Als kleines Schulmädchen war sie 1929 mit den Eltern verschickt worden, für immer schloß sich das Schultor hinter ihr. Von der Lehrerin wurde sie zärtlich «Motja, unser kleiner Edison» genannt, das Mädchen lernte gut und hatte obendrein eine erfinderische Ader; da gab es eine Turbine, von ihr am Dorfbach gebastelt, und mancherlei andere Erfindungen für die Schule. Nach sieben Jahren zog es sie mächtig heimwärts, wenigstens die Balken jener unerreichbaren Schule wollte sie sich begucken; mit Gefängnis und Lager wurde «Klein-Edison» dafür bestraft.
    Man zeige uns mal aus dem 19. Jahrhundert solch ein Kinderschicksal vor!
    Der Entkulakisierung unterlagen samt und sonders

Weitere Kostenlose Bücher