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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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die Müller – und was sind die Müller und Schmiede anderes gewesen als die besten Techniker im russischen Dorf?
    Und nun zu einem Dorfschmied. Gleich werden wir sehen, was für eine Art Kulak er gewesen. Laßt uns sogar, wie in den Kaderstellen Brauch, mit dem Vater beginnen. Sein Vater, Gordej Wassiljewitsch, diente fünfundzwanzig Jahre in der Warschauer Garnison und erdiente sich, wie man so sagt, grad so viel Silber, wie aus einem Zinnknopf herausglänzt: Ein Soldat, der für fünfundzwanzig Jahre eingezogen wurde, verlor seinen Bodenanteil in der heimatlichen Gemeinde. Zur Frau hatte er sich eine Soldatentochter genommen und fuhr nach der Abmusterung nicht nach Hause, sondern in ihr Dorf Barsuki im Landkreis Krasnensk. Die Ankunft wurde in der Kneipe gefeiert, die Dörfler schenkten ihm so lange Wodka ein, bis er sich überreden ließ, die Steuerschuld der ganzen Gemeinde zu zahlen: Die Hälfte des ersparten Geldes ging drauf. Für die andere Hälfte pachtete er vom Gutsherrn eine Mühle und verlor bei diesem Geschäft sehr bald auch das restliche Geld. So brachte er sich denn bald als Kuhhirte, bald als Nachtwächter durch sein langes Alter. Sechs Töchter hatte er, die heirateten allesamt in arme Höfe ein, und einen einzigen Sohn, Trifon (mit Nachnamen aber hießen sie Twardowski). Der Junge wurde als Stift in eine Kurzwarenhandlung gesteckt, haute jedoch ab und verdingte sich daheim in der Moltschanowschen Schmiede ein Jahr lang als unbezahlter Knecht, vier Jahre als Lehrjunge, danach wurde er freigesprochen und baute sich im Dorf Sagorje ein Haus. Er heiratete, setzte sieben Kinder in die Welt (der spätere Dichter Alexander war einer von ihnen), ein reicher Mann konnte er als Schmied kaum werden. Der älteste Sohn Konstantin half dem Vater, Tag und Nacht standen sie vor dem Amboß und brachten es so auf fünf Äxte täglich, handgeschmiedet, erste Qualität, aber die Schmiedemeister in Roslawl mit ihren Pressen und Lohnarbeitern boten billigere Ware an. Die Schmiede der Twardowskis war auch noch 1929 aus Holz, ein Pferd besaßen sie, manchmal eine Kuh mit einem Kalb, manchmal weder eine Kuh noch ein Kalb, dazu acht Apfelbäume, ja, solch eine Sorte Ausbeuter sind sie gewesen. Die Bäuerliche Agrarbank bot verschuldeten Gutsbesitz auf Raten zum Kauf an, Trifon Twardowski erstand elf Hektar mit Sträuchern überwuchertes Ödland, da rodeten sie nun und rackerten sich ab und hatten bis zum Jahr, da die Pest ausbrach, fünf Hektar urbar gemacht; den Rest ließen sie, wie er war, verwildert zurück. Man hatte sie zur Aussiedlung vorgemerkt – das ganze Dorf zählte fünfzehn Höfe, einer mußte seinen Kopf als Kulak herhalten! Der Profit, den die Schmiede abwarf, wurde ungeheuer hoch veranschlagt, mit untragbaren Steuern belegt, der Zahlungstermin verstrich – also macht euch auf die Beine, verfluchtes Kulakenpack!
    Und überhaupt: Wer im Dorf ein Ziegelhaus besaß, rundum von Holzbuden umgeben, wer sein Haus aufgestockt hatte, während die anderen ebenerdig blieben – der war ein Kulak. Pack dich fort, Schweinehund, daß du in einer Stunde zur Abfahrt bereitstehst! Im russischen Dorf hat es keine Ziegelhäuser, hat es keine mehrstöckigen Häuser zu geben! Zurück in die Höhle! Fort mit dem Rauchfang! Wollt ihr nicht am offenen Fenster kochen?! So stellen wir uns die große Umgestaltung vor, wie es in der Geschichte keine ähnliche gegeben hat.
    Doch das wichtigste Geheimnis – es liegt noch nicht darin. Manchmal blieb, auch wer besser lebte, daheim; hat bloß beizeiten in den Kolchos eintreten müssen. Ein starrköpfiger Kleinbauer hingegen, der es damit nicht eilig hatte – wurde fortgeschickt.
    Sehr wichtig ist dies, das Wichtigste ist dies! Nicht im geringsten um die
    «Entkulakisierung» ging es, wie immer sie’s nennen mochten, sondern um die Zwangskollektivierung. Nur so, nur nachdem man den Bauern einen tödlichen Schrecken eingejagt hatte, konnte man ihnen das Land wegnehmen, das ihnen die Revolution gegeben hat – und sie an dieses selbe Land als Leibeigene fesseln.
    Es war ein zweiter Bürgerkrieg – diesmal gegen die Bauern. Es war, wie Stalin sagte, der Große Umschwung, Welikij Perelom – der Große Umbruch, bloß daß er uns verschwieg, was da gebrochen worden war.
    Das russische Rückgrat.

    Beschreiben, ja, sogar im Kino vorführen wird man uns die Speicher und Erdlöcher, in denen die Blutsauger das Getreide versteckten. Bloß nicht das kleinwenige an Erworbenem, Vertrautem, dem

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