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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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anderen Personen folgten MP-Schützen mit Helmen. (Schützen und Panzersoldaten hatten vor dem Einsatz Wodka bekommen. Wie besonders sie auch ausgebildet sein mochten, Unbewaffnete und Schlafende niedermetzeln ist doch leichter, wenn man betrunken ist.) In den angreifenden Sturmreihen liefen Funker mit Funkgeräten mit. Die Generäle hatten die Wachttürme bestiegen und leiteten beim taghellen Schein der Leuchtraketen (dazu brannte noch ein Wachtturm, den die Seki mit ihren Rohrgranaten angezündet hatten) die Aktion: «Stürmt die Baracke Nr. Soundso! …
    Das Lager erwachte in wildem Entsetzen. Die einen warfen sich in den Baracken auf den Boden und wollten nur überleben, sie hielten Widerstand für sinnlos. Andere rüttelten sie auf und trieben sie zum Kampf. Wieder andere stürzten ins Freie, den Kugeln entgegen, sei es, um zu kämpfen, oder weil sie einen raschen Tod suchten.
    Der 3. Lagerpunkt wehrte sich verzweifelt, es war jener Lagerpunkt, der seinerzeit mit der Revolte begonnen hatte. Sie schleuderten Steine gegen die Soldaten und Aufseher, und wahrscheinlich Rohrgranaten gegen die Panzer … An die Kisten mit gestoßenem Glas dachte niemand. Eine Baracke ging mit Hurra-Rufen zweimal zum Gegenangriff über …
    Die Panzer überrollten alle, die ihnen in die Quere kamen (der Kiewerin Alla Pressman zuerquetschten die Ketten den Bauch). Die Panzer zermalmten die Flüchtenden noch auf den Außentreppen der Baracken. Die Panzer fuhren die Barackenwände entlang und zerdrückten diejenigen, die dort Zuflucht vor den Ketten suchten. Semjon Rak und sein Mädchen warfen sich gemeinsam vor einen Panzer. Die Panzer bohrten sich in die Holzwände der Baracken und feuerten blind in die Schlafräume. Faina Eppstein erinnert sich: Wie in einem Traum stürzte plötzlich die Barackenecke zusammen, und ein Panzer fuhr schräg durch, Menschenleiber überrollend. Die Frauen sprangen entsetzt von den Wagonkas, nach dem Panzer kam ein Lastwagen, und man warf sie halbbekleidet auf die Ladefläche.
    Die Panzerschüsse waren blind, doch die MP-Salven waren scharf und die Bajonette echt. Manche Frauen warfen sich über die Männer, um sie zu schützen, und wurden ebenfalls durchbohrt! Beljajew erschoß an diesem Morgen eigenhändig etwa zwanzig Häftlinge. Nach dem Kampf sah man, wie er den Erschossenen Messer in die Hände legte, und wie ein Fotograf den getöteten Banditen fotografierte. Großmutter Suprun, die Mitglied der Kommission war, starb an einem Lungenschuß. Einige flüchteten in die Aborte und wurden dort von den Salven durchsiebt.
    Die einzelnen Gefangenengruppen wurden sofort durch die Maueröffnungen hinaus in die Steppe geführt, vorbei an den Kengirer Konvoisoldaten, die eine Absperrung um die Zone bildeten. In der Steppe wurden sie durchsucht und mußten sich auf den Boden legen, mit dem Gesicht nach unten, die Hände über dem Kopf ausgestreckt. MWD-Piloten und Aufseher gingen durch die Reihen und holten diejenigen heraus, die ihnen während der Revolte vom Flugzeug oder vom Wachtturm aus aufgefallen waren.
    (Diese Sorgen ließen niemandem Zeit, die Prawda vom 25. Juni aufzuschlagen. Sie war dem Thema «Ein Tag in unserer Heimat» gewidmet: Erfolge der Metallurgen, stärkere Mechanisierung der Erntearbeiten! Der Historiker wird sich ohne Mühe ein Bild von unserer Heimat machen können, wie sie an jenem Tag war.)
    Die siegreichen Generäle verließen die Wachttürme und gingen frühstücken. Ohne einen von ihnen zu kennen, wage ich zu behaupten, daß ihr Appetit an jenem Junimorgen vortrefflich war und daß sie ihren Sieg begossen. Der Alkoholdunst beeinträchtigte in keiner Weise die ideologische Klarheit in ihrem Kopf. Und was sie in der Brust empfanden, das war außen angeheftet.
    Die Zahl der Toten und Verwundeten betrug: nach Erzählungen ungefähr sechshundert, nach den Unterlagen der Kengirer PPTsch, wie man sie einige Monate später vorfand – über siebenhundert.
    Den ganzen Tag lang lagen die Häftlinge mit dem Gesicht nach unten in der glühenden Sonne, im Lager wurde indessen alles durchsucht, aufgebrochen, umgekrempelt.
    Die Mitglieder der Kommission und die anderen Hauptverdächtigen wurden in das Lagergefängnis gesperrt, das wieder seiner ursprünglichen Bestimmung diente. Über tausend Häftlinge wurden ausgesondert und zum Abtransport in geschlossene Gefängnisse oder nach Kolyma bestimmt. (Wie immer hatte man die Listen halb blind zusammengestellt, und so erwischte es auch viele, die völlig

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