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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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solchen Befehlen setzt es sich zusammen. Alle hier Sitzenden sind Verbannte, sie zittern um ihren Posten; einmal gekündigt, werden sie in Kok-Terek keinen anderen finden. Und schließlich schuftet man ja nicht für den Direktor, sondern für das Land, es muß halt sein. Die letzte Erkenntnis der Medizin erscheint ihnen durchaus erträglich.
    Ach, könnt ich jetzt aufstehen und die selbstgefällige Wildsau auslachen! Ein einziges Mal meinem Herzen Luft machen! Es wäre jedoch «antisowjetische Propaganda» in Reinkultur – wie denn nicht, wenn ich aufrief, eine wichtige Aktion zu sabotieren? So trittst du zeit deines Lebens aus einem Stand in den anderen, bist Schüler, Student, Bürger, Soldat, Häftling, Verbannter – und die Obrigkeit besitzt immerzu die gewichtige Macht, du aber duckst dich und schweigst.
    Hätte er gesagt: bis zehn Uhr abends – ich wäre geblieben. Er aber bot uns – die kalte Erschießung an, schlug mir hier, in der Freiheit, vor, mit dem Schreiben aufzuhören! O nein, hol dich der Teufel mitsamt der ganzen Preissenkerei! Das Lager flüsterte mir die Lösung ein: nicht dagegen zu sprechen, sondern wortlos dagegen zu handeln. Unterwürfig wie die anderen hörte ich mir den Befehl an, aber am Nachmittag um fünf Uhr stand ich auf – und ging fort. Und kehrte erst um neun Uhr morgens wieder zurück. Meine Kollegen saßen bereits rechnend auf den Plätzen oder taten zumindest, als rechneten sie. Wie einen Wilden starrten sie mich an. M-s, der insgeheim mein Vorgehen billigte, jedoch selber zu derlei nicht den Mut fand, raunte mir zu, daß der Vorsitzende gestern abend über meinem leeren Tisch zetermordio geschrien und gedroht habe, mich hundert Kilometer tief in die Wüste zu jagen.
    Zugegeben, ich bekam kalte Füße: Natürlich war das MWD zu allem fähig. Warum nicht in die Wüste?! Warum nicht hundert Kilometer weit?! Die längste Zeit wär ich in jenem Bezirkszentrum gewesen! Doch ich war ein Glückspilz, bin nach Kriegsende auf dem Archipel gelandet, somit der tödlichsten Periode entgangen und trat nun die Verbannung nach Stalins Tod an. In dem einen Monat hat sich auch bis zu uns etwas herumgesprochen, bis zu unserer Kommandantur.
    Unmerklich begann eine neue Zeit, der mildeste Abschnitt, für drei Jahre, in der Geschichte des Archipels.
    Der Vorsitzende lud mich nicht vor und ließ sich genausowenig selber blicken. Nachdem ich einen Arbeitstag hinter mich gebracht hatte, frisch unter lauter Einschlafenden und Pfuschenden, beschloß ich, abermals um fünf Uhr Feierabend zu machen. Jedes Ende war gut, es käme bloß rasch.
    Zum x-ten Male machte ich im Leben die Beobachtung, daß man vieles zu opfern vermag, aber doch niemals das, worin man den Kern seines Daseins sieht. Dieses noch in den Marschreihen des Katorga-Lagers ausgetragene Stück habe ich nicht geopfert – und der Sieg blieb mein. Eine Woche lang arbeiteten die anderen die Nacht durch und gewöhnten sich, meinen Tisch leer zu sehen. Der Vorsitzende wandte den Kopf ab, wenn ich ihm auf dem Gang begegnete.
    Es war mir jedoch nicht beschieden, das dörfische Konsumwesen in KaSEK-stan in Ordnung zu bringen. Eines Tages kam aus der Schule unerwartet der Vorstand des Lehrerkollegiums herüber, ein junger Kasache, bislang der einzige Akademiker in Kok-Terek und mächtig stolz darauf; trotzdem verargte er mir mein Eintreffen nicht. Ob er der Schule nutzen wollte, die in diesem Jahr ihre erste Abiturientenklasse entließ, oder der Schlange von Schulamtschefin eins auswischen – er schlug mir jedenfalls vor, ihm auf der Stelle mein Diplom zu bringen. Ich lief wie ein Junge nach Hause und holte es herbei, worauf er es in seiner Tasche verstaute und nach Dschambul zu einer Gewerkschaftskonferenz abfuhr. Nach drei Tagen kam er zurück und legte mir den Auszug aus einem Befehl des Gebietsschulamtes vor. Aus dem Papier, unter dem die gleiche schamlose Unterschrift stand, die mir im März bescheinigt hatte, daß die Schulen des Bezirkes keine freien Lehrerposten hätten, erfuhr ich nun im April von meiner Bestellung zum Mathematik-und Physiklehrer zugleich; dessen nicht genug, sollte ich die beiden letzten Klassen übernehmen – drei Wochen vor der Abschlußprüfung! (Der junge Schulmann riskierte viel. Nicht so sehr die politischen Folgen fürchtete er als: Ob ich während der Lagerjahre meine Mathematik nicht vergessen hatte? Am Tage des schriftlichen Examens in Geometrie und Trigonometrie ließ er mich die verschlossenen

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