Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
herbeigesehnt! Der Augenblick, um den alle GULAG-Seki (die Parteitreuen ausgenommen) zum Himmel beten! Er ist gestorben, der asiatische Diktator! Abgeschrappt, der Bösewicht!
Ich habe Lust zu johlen, sogar einen wilden Papuatanz vor dem Lautsprecher aufzuführen! Doch weh, die Ströme der Geschichte fließen langsam. Und so setzte ich meinem bestens trainierten Gesicht die Grimasse gramvollen Lauschens auf. Einstweilen – verstell dich, verstell dich wie gewohnt.
Und doch, welch ein großartiges Ereignis zur Feier meines Verbannungsantritts!
6
Eines Verbannten Glückseligkeit
1.
Farradnagel
½
Kilo
2.
Schnürschu
5
3.
Ofenror
2
4.
Teeglas
10
5.
Federbuchs
1
6.
Glopus
1
7.
Streicholz
50
Schachtel
8.
Petrol-Lampe
2
9.
Zanpast
8
Stück
10.
Pläzchen
34
Kilo
11.
Wodka
156
halbe Literflaschen
Vor mir lag das Inventurverzeichnis der gesamten Lagerbestände im Dorfkaufhaus Airdarly, von den Inspektoren und Warenprüfern der Bezirksgenossenschaft zwecks Neufestsetzung der Preise erstellt. Ich kurbelte an der Rechenmaschine und senkte die Preise, mal um sieben, mal um anderthalb Prozent. Die Preise sanken katastrophal, es war zu erwarten, daß Federbuchs wie Glopus bis zum neuen Jahr an den Mann gebracht und die Nägel ihren Platz in den Fahrrädern gefunden haben würden, lediglich der wohl noch aus der Vorkriegszeit stammende Pläzchen- Vorrat zeigte Ladenhüter-Tendenzen. Hingegen hätte man den Wodka getrost verteuern können, übern 1. Mai hinaus blieb er nicht liegen.
Die noch von Stalin in die Wege geleitete Preissenkung war am 1. April verkündet worden und sollte den Werktätigen soundso viele Millionen Rubel an Ersparnissen einbringen (der Gewinn war im vorhinein errechnet und verlautbart worden). Mich traf sie hart.
Diesen ganzen ersten Monat in der Verbannung zehrte ich von meinem Lagerverdienst in der Gießerei – nährte mich in der Freiheit vom Lagergeld! – und wanderte tagein, tagaus ins Bezirksschulamt, um nachzufragen, wann sie mich endlich nehmen würden. Aber die Schlange von Chefin versagte mir neuerdings ihre Tür, die beiden Inspektoren fanden immer seltener Zeit, mir etwas zuzumurmeln, und zeigten mir schließlich am Monatsende einen Entscheid des Gebietsschulamtes, dem zu entnehmen war, daß alle Schulen des Kok-Tereker Bezirks mit Mathematikern ausreichend bestückt seien und keinerlei Aussicht bestehe, mit eine Anstellung zu verschaffen.
Unterdessen schrieb ich allerdings ein Stück (Dekabristen ohne Dezember), die täglichen Filzungen morgens und abends brauchte ich ja nun nicht mehr zu fürchten und das Geschriebene nicht so oft wie früher zu vernichten. Eine andere Beschäftigung hatte ich nicht und fand Gefallen an dieser neuen Lebensart. Einmal am Tage begab ich mich ins «Teehaus» und bestellte für zwei Rubel eine heiße Suppe, jene selbe, die man mit einem Eimer auch für die Insassen des hiesigen Gefängnisses holen kam. Schwarzbrot gab es im Geschäft so viel man wollte, und mit Kartoffeln hatte ich mich bereits eingedeckt, ja sogar eine Scheibe Schweinespeck erstanden. Hab selber Reisig vom Salzstrauch zusammengeklaubt und mit einem Esel heimgefahren, konnte nun auch Feuer machen im Herd. Mein Glück war nahe daran, vollkommen zu sein, und ich überlegte schon, daß sie sich den Posten meinetwegen an den Hut stecken konnten; solange das Geld nicht alle war, wollte ich mein Stück schreiben, wer weiß, wann mir wieder so viel Freiheit beschert sein würde?!
Eines Tages plötzlich winkte mich auf der Straße einer der Kommandanten zu sich. Er führte mich zur Konsumgenossenschaft, dort geradewegs ins Zimmer des Natschalniks, eines ungeheuer dicken Kasachen, und er sprach bedeutungsvoll: «Ein Mathematiker.»
Und o Wunder! Niemand fragte mich, weswegen ich gesessen hatte, niemand verlangte Lebensläufe und Fragebogen! Die Chefsekretärin, ein verbanntes griechisches Mädchen, blutjung und schön wie ein Filmstar, tippte einfingrig den Befehl über meine Bestellung zum Planwirtschaftler mit einem Monatsgehalt von 450 Rubel herunter. Am selben Tag wurden mit der gleichen fragebogenlosen Leichtigkeit zwei weitere unbeschäftigte Verbannte in den Personalstand der Konsumgenossenschaft aufgenommen: der Hochseekapitän Wassilenko und der mir noch unbekannte, höchst geheimnisvoll tuende Grigorij Samoilowitsch M-s. Wassilenko trug sich bereits mit dem Projekt einer Flußbettvertiefung der Tschu (durch die in den Sommermonaten die Kühe wateten), redete viel vom kommenden
Weitere Kostenlose Bücher