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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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spenden hatten; dessen nicht genug, wurde bald der eine, bald der andere ins Direktorszimmer gerufen und um ein Darlehen von dreihundert, vierhundert Rubel «gebeten». (Im übrigen, war derlei gang und gäbe dort, gleichsam landes-oder systemüblich. Die kasachischen Schüler wurden ihrerseits genötigt, für die Schulschlußfeier einen Hammel, einen ganzen oder halben, beizusteuern, dann durfte einer noch so unwissend sein – das Reifezeugnis hatte er in der Tasche. Das Schülerfest verwandelte sich in ein gewaltiges Saufgelage des Bezirksparteiaktivs.) Obendrein war die gesamte Bezirksobrigkeit bei irgendwelchen Fernkursen inskribiert und ließ sich die schriftlichen Prüfungsarbeiten von den Lehrern unserer Schule ausführen (das wurde nach feudaler Sitte über einen Stellvertreter angeordnet, so daß den gelehrten Sklaven nicht mal die Ehre zuteil wurde, ihrer Fernstudenten ansichtig zu werden).
    Ich wüßte nicht zu sagen, was mich davor bewahrt hat, mir all diese Mühlsteine um den Hals zu hängen: ob meine Festigkeit, die auf der sogleich zutage getretenen «Unersetzbarkeit» fußte, oder die bereits milder werdenden Zeiten, am ehesten wohl beides zusammen. Meinen Schülern wäre die Lust am Lernen bald vergangen, wenn ich sie ungerecht beurteilt hätte, also gab ich ihnen nur Noten, die sie verdienten, und kümmerte mich nicht um die Wünsche der Parteisekretäre. Ich verweigerte auch den Tribut und «lieh» der Obrigkeit kein Geld (die Schulamtsleiterin, die Schlange, hatte die Stirn, mich anzupumpen!), es reichte mir vollauf, daß uns der verarmende Staat in jedem Mai um einen Monatslohn prellte. (Dieses im Lager vermißte Vorrecht der Freien, Staatsanleihen zeichnen zu dürfen, hat uns die Verbannung wiedergeschenkt.) Damit war meine Prinzipientreue aber auch schon am Ende.
    Da lebte neben mir mein Kollege Georgij Stepanowitsch Mitrovič, ein Serbe, nicht mehr jung und nicht gesund, mit zehn wegen konterrevolutionärer trotzkistischer Tätigkeit abgebrummten Kolyma-Jahren hinter sich, ein unermüdlicher Kämpfer für die lokale Gerechtigkeit in Kok-Terek. Aus der Grundstücksverwaltung des Bezirks entlassen, wurde er als Biologie-und Physiklehrer in der Schule angestellt und übertrug seine Bemühungen auf das schulische Parkett. In Kok-Terek stolperte man ja auf Schritt und Tritt über eine durch Unwissen, primitive Dünkel und unbekümmerte Stammesverbundenheit überlagerte Willkür. Diese Rechtlosigkeit war zäh und klebrig, dumpf und undurchdringlich, trotzdem wurde Mitrovič nicht müde, selbstlos und opferbereit dagegen zu fechten (führte dabei allerdings Lenin im Munde), er prangerte an, er entlarvte – auf Lehrerkonferenzen und Bezirksschulberatungen; er ließ die hochgestellten Nichtswisser von Fernstudenten bei den Prüfungen durchsausen, und scherte sich beim Abitur nicht um die abgelieferten Hammel; er schickte Beschwerden ins Gebiet, nach Alma-Ata, und Telegramme an Chruschtschow (die Eltern traten für ihn ein, sammelten bis zu siebzig Unterschriften, aber die Telegramme mußten aus einem Nachbarbezirk abgesandt werden, bei uns hätte man sie abgefangen). Er forderte Revisionen, bat um Inspektoren, die kamen herbei und wandten sich gegen ihn, er schrieb von neuem, man beschäftigte sich auf Sonderkonferenzen mit seinen Aktivitäten, man beschuldigte ihn der antisowjetischen Propaganda unter den Kindern (ein winziger Schritt ist’s von da bis zur Verhaftung!) und mit gleichem Ernst – des groben Umgangs mit den Ziegen, die den Pioniergarten kahlfraßen. Bald ausgestoßen, bald wieder aufgenommen, verlangte er Wiedergutmachung für den Verdienstausfall, wurde an eine andere Schule versetzt und wieder ausgeschlossen, weil er nicht hinging, er war ein wackerer Kämpfer! Hätt ich mich ihm angeschlossen – wir beide hätten sie prächtig gezaust!
    Allein, ich half ihm kein bißchen. Ich hüllte mich in Schweigen. Drückte mich um die entscheidenden Abstimmungen (um nicht gegen ihn zu sein), gab vor, irgendwoanders gebraucht zu werden. Den fernstudierenden Parteifunktionären schenkte ich ihr Befriedigend: Mochten sie, die an der Macht saßen, der eignen Macht getrost in die Tasche lügen. Ich trug meine Aufgabe in mir: Ich schrieb. Ich sparte mich für einen anderen, einen späteren Kampf auf. Doch die Frage gehört weiter gefaßt: War er berechtigt, war er notwendig, der Kampf des Georgij Mitrovič?
    Sein Kampf war von vornherein hoffungslos, dieser Teig war nicht durchzukneten. Ja,

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