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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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beliebter Witz, eine stehende Redewendung. In unserer Sprache hieß es «foltern», in der ihrigen – «gute Arbeit leisten.» Die Frau des Untersuchungsrichters Nikolai Grabischtschenko (Wolgakanal) säuselte beim kleinen Hofklatsch: «Mein Kolja ist eine tüchtige Kraft. Einer hatte lange nicht gestanden, bis sie ihn Kolja übergaben. Der brauchte nur eine Nacht – und das Geständnis war fertig.»
    Warum haben sie sich alle bloß so wild ins Zeug gelegt, nicht die Wahrheit, sondern die Ziffern der Verarbeiteten und Verurteilten zu erzielen? Weil es so am bequemsten war, drinnen zu bleiben im gemeinsamen Trott. Weil diese Ziffern ihr ruhiges Leben waren, ihre Gehaltszulagen, Auszeichnungen, Beförderungen, Erweiterung und Wohlstand für die Organe selbst. Bei guten Ziffern konnte man sich auch mal auf die faule Haut legen, da und dort ein wenig pfuschen, hier und da eine Nacht durchsumpfen (was sie auch taten). Niedrige Ziffern hingegen führten zur Entlassung und Degradierung, zum Verlust besagten Futtertrogs – denn wie hätte Stalin ihnen glauben können, daß er in einem Gebiet, einer Stadt, einer Armeetruppe plötzlich keine Feinde mehr hatte.
    So kam nicht Barmherzigkeit, sondern Betroffenheit und Verbitterung in ihnen auf, wenn sie an einen aufsässigen Häftling gerieten, der sich nicht zur Ziffer fügen wollte, nicht durch Schlaflosigkeit, Karzer und Hunger kleinzukriegen war! Mit seinem Leugnen schadetete er der persönlichen Position des Untersuchungsrichters! Geradezu, als möchte er ihn, den Richter selbst, aus dem Sattel heben! – Und da war denn jedes Mittel recht. A la guerre comme à la guerre! Mund auf, Schlauch rein, da hast du dein Salzwasser!

    Art der Tätigkeit und getroffene Lebenswahl versperrten den Dienern des Blauen Etablissements den Zugang zu den oberen Sphären des menschlichen Daseins, darum lebten sie mit um so größerer Gier und Maßlosigkeit in jenen untersten, allwo sie sich den stärksten dort waltenden Instinkten ergaben, die da sind, außer dem Hunger und dem Geschlecht, der Instinkt der Macht und der Instinkt des Gewinns. (Besonders der Macht. In unseren Jahrzehnten hat sie sich dem Geld überlegen gezeigt.)
    Daß die Macht Gift ist, ist seit Jahrtausenden bekannt. Hätte doch nie jemand materielle Gewalt über einen anderen gewonnen! Aber es ist für einen Menschen, der an etwas Höheres glaubt und sich darum seiner Begrenztheit bewußt ist, die Macht noch nicht tödlich. Für Menschen ohne höhere Sphäre ist die Macht wie Leichengift. Für sie gibt’s bei Ansteckung keine Rettung.
    Was reizvoll? – berauschend ! Es ist ein Rausch fürwahr – du bist noch jung, du bist, in Klammern sei’s gesagt, noch eine Rotznase, und deine Eltern hatten sich, ’s ist gar nicht lange her, die größten Sorgen gemacht, wo dich überhaupt unterbringen, denn du Tölpel wolltest nichts lernen – da kamst du für drei Jahre in jene Lehranstalt, und sieh, wie hoch es dich hinaufgetragen hat! Wie du hinabblicken kannst von deinem heutigen Stand! und wie sich deine Bewegungen verändert haben, dein Blick, die Haltung deines Kopfes! Da tagt der Wissenschaftliche Rat einer Hochschule, sieh, wie sie alle aufmerken, zusammenschrecken sogar, wenn du eintrittst; du kümmerst dich nicht um einen präsidialen Platz, dort möge der Rektor sich breitmachen, du setzt dich am Rande hin – und doch wissen alle, wer hier den Ton angibt: du, die Spezialabteilung. Du kannst fünf Minuten bleiben und fortgehen, darin liegt dein Vorteil gegenüber den Professoren, auf dich mag Wichtigeres warten, doch dann, später, wirst du über ihre Resolution die Stirn runzeln (oder besser, den Mund verziehen) und zum Rektor sagen: «Es geht nicht. Da gibt es bestimmte Überlegungen …» Nicht mehr. Und es wird nicht gehn! – Oder aber du bist vom Smersch einer, vom Sonderkommando, ein kleiner Leutnant, aber der alte beleibte Truppenkommandeur im Rang eines Obersten springt auf, wenn du ins Zimmer trittst; er schmeichelt dir und liebedienert und wird mit seinem Stabschef keinen Wodka trinken, ohne dich eingeladen zu haben. Es macht nichts, daß du bloß zwei kleine Sternchen hast, das ist sogar spaßig; denn deine zwei Sternchen werden mit anderen Gewichten gewogen und nach anderer Skala gemessen als die der gewöhnlichen Offiziere (und es ist euch gar gestattet, bei Sonderaufträgen Majorsachselklappen anzustecken, als Fiktion quasi, als Pseudonym). Alle Menschen dieser Armeetruppe oder dieses Betriebes oder

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