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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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ist dies: dich rücklings hinlegen, ohne Hosen, die Beine auseinander (da setzen sich Helfershelfer drauf, zwei wackere Sergeanten, und halten dir noch die Arme fest), und der Untersuchungsrichter – auch Frauen drücken sich vor solchen Diensten nicht – pflanzt sich zwischen deinen gegrätschten Beinen auf und beginnt ganz langsam mit der Spitze seines Stiefels (ihres Schuhs) jenes Ding zu quetschen, das dich einstens zum Mann gemacht – zuerst sachte, dann immer stärker … Dabei blickt er dir unentwegt in die Augen und wiederholt, wiederholt seine Fragen, seine Aufforderungen zum Verrat. So er nicht vor der Zeit eine Spur zu fest andrückt, hast du noch fünfzehn Sekunden, um aufzuschreien, daß du alles zugibst, daß du bereit bist, alle zwanzig Mann ins Gefängnis zu bringen, die sie von dir verlangen, oder öffentlich zu verleumden, was immer dir bis dahin heilig war …
    Und es richte dich Gott, nicht die Menschen …
    «Es gibt keinen Ausweg! Gestehe, es geht nicht anders!» beschwatzen dich die in die Zelle eingeschleusten Spitzel.
    «Es ist eine einfache Rechnung: Schone deine Gesundheit!» sagen die Vernünftigen.
    «Die Zähne gibt dir niemand wieder!» hörst du von denen, die keine mehr haben.
    «Verurteilt wirst du ohnehin, daran ändert dein Geständnis nichts mehr», resümieren jene, die den Kern erfaßt haben.
    «Wer nicht unterschreibt, wird erschossen!» läßt sich auch noch eine prophetische Stimme aus dem Hintergrund vernehmen. «Um sich zu rächen. Um die Spuren zu verwischen: über die Verhöre.»
    «Wenn du beim Verhör draufgehst, sagen sie den Verwandten: ‹Lager ohne Brieferlaubnis.› Da such dich wer …»
    Bist du von den Linientreuen einer, dann wird sich ein anderer Orthodoxer an dich heranmachen; feindselige Blicke um sich werfend, daß euch kein Uneingeweihter belauscht, beginnt er aufgeregt auf dich einzuhämmern:
    «Es ist unsere Pflicht, die sowjetische Untersuchungsbehörde zu unterstützen. Wir befinden uns mitten im Kampf. Wir sind selbst schuld: Wir waren zu weichherzig, jetzt siehst du erst, wieviel Mist im Lande gezüchtet wurde. Unter der Oberfläche wird ein erbitterter Krieg geführt. Auch hier, um uns herum sind Feinde, hörst du, wie sie reden? Die Partei ist doch nicht jedem einzelnen Rechenschaft schuldig: Warum und wozu? Wenn sie es verlangen, müssen wir unterschreiben.»
    Und noch ein Orthodoxer pirscht sich heran:
    «Ich habe fünfunddreißig Mann genannt, alle, die ich kannte. Und kann auch Ihnen nur raten: möglichst viele Namen! Möglichst viele mit sich reißen! Dann muß der ganze Unsinn auffliegen, und wir gehen alle frei!»
    Was anderes wollen die Organe gar nicht haben! Die Einsicht des linientreuen Parteimitglieds fällt mit dem Ziel der NKWD zusammen. Das ist, was die NKWD braucht, dieser schillernde Fächer von Namen, diese ihre erweiterte Reproduktion. Es ist die Qualitätsmarke ihrer Arbeit und der Angelpunkt für neue Fänge. «Komplicen! Komplicen! Gleichgesinnte!», die schüttelt sie mit Feuereifer aus jedem heraus. (Es heißt, R. Ralow habe Kardinal Richelieu als Komplicen genannt, was protokollarisch vermerkt wurde und bis zur Rehabilitierungsvernehmung von 1956 niemandem aufgefallen war.)

    Da wir schon bei den Orthodoxen sind … Für so eine Säuberung hat es eines Stalins bedurft, aber doch auch solch einer Partei: Die da an der Macht standen, waren – die Mehrzahl – bis zum Augenblick der eigenen Verhaftung mit dem Einsperren anderer unbarmherzig zur Hand; willfährig und denselben Instruktionen folgend, vernichteten sie ihre Mitmenschen, lieferten jeden gestrigen Freund oder Kampfgenossen nach Belieben dem Henker aus. Und kein prominenter Bolschewik von denen, die heute mit dem Nimbus der Märtyrer gekrönt sind, hatte es verabsäumt, sich auch als Henker anderer Bolschewiki zu betätigen (davon ganz zu schweigen, daß sie allesamt Henker der Parteilosen waren). Vielleicht hatte das Jahr 1937 eben seinen Sinn darin, daß es zeigte, wie wenig die ganze Weltanschauung wert war, derer sie sich so munter brüsteten, als sie darangingen, Rußland zu zausen und zu rupfen, seine Festen niederzureißen, seine Heiligtümer mit Füßen zu treten – jenes Rußland, in dem ihnen selber eine derartige Abrechnung niemals gedroht hatte. Die Opfer der Bolschewiki in den Jahren von 1918 bis 1936 hatten sich niemals so jämmerlich aufgeführt wie die führenden Bolschewiki, als der Sturm gegen sie losbrach. Wenn man sich die Geschichte der

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