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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Protokoll eine Stenotypistin kommen, und die ist hübsch, verlier also keine Zeit und greif hinein in ihre Bluse. Wegen des anwesenden Bürschleins brauchst du dich nicht zu schämen: ist ja kein Mensch, ein Häftling.
    Vor wem überhaupt sollst du dich genieren? Wenn du die Weiber magst (und wer mag sie nicht?), wärst du dumm, deine Lage nicht zu nützen. Den einen wird deine Kraft imponieren, die anderen werden aus Angst nachgeben. Ist dir ein Mädel über den Weg gelaufen, merk dir bloß den Namen – und sie gehört dir, wohin soll sie denn? Hast du am Weib eines anderen Gefallen gefunden – sie ist dein! Denn den Gatten aus der Welt zu schaffen, kostet dich keine Müh. Nein, man muß erlebt haben, was es bedeutet, blaubemützt zu sein! Jedes Ding, das du erspäht – ist dein! Jede Wohnung, die du dir ausgesucht – ist dein! Jedes Weib – pack nur zu! Jeder Feind – aus dem Weg! Die Erde unter deinen Füßen – gehört dir! Der Himmel über dir – ist dein strahlendes Himmelblau.

    Die Gewinnsucht schließlich ist ihrer aller Passion. Ja, wie denn solche Macht und solche Unkontrolliertheit ungenützt lassen? Dazu müßte man wahrlich ein Heiliger sein! …
    Wenn es uns gegeben wäre, die Beweggründe der einzelnen Verhaftungen geradeheraus zu erfahren, würden wir staunend erkennen, daß bei gleichbleibenden Ausgangspositionen der Verhaftung die konkrete Wahl des Wen, das persönliche Los, in drei Vierteln der Fälle von menschlicher Hab-und Rachgier abhing und die Hälfte jener Fälle wiederum von den gewinnsüchtigen Gelüsten der örtlichen NKWD (den Staatsanwalt wollen wir, natürlich, nicht ausklammern).
    Die Überlegungen und Handlungen der Blaubemützten sind bisweilen so kleinlich, daß du aus dem Staunen nicht herauskommst. Der Einsatzbevollmächtigte Sentschenko nahm einem verhafteten Armeeoffizier die Kartenmappe und die Feldtasche ab und hängte sie sich vor dessen Augen sogleich selber um. Einem anderen Gefangenen stahl er mit Hilfe eines protokollarischen Tricks seine ausländischen Handschuhe. (Beim Vormarsch war’s ihnen ein besonderer Dorn, daß nicht sie als erste an die Beute kamen.) – Der Abwehrmann von der 48. Armee, der mich verhaftete, war auf mein Zigarettenetui erpicht, das, richtiger gesagt, gar kein Etui war, sondern nur eine Schachtel aus einem deutschen Büro, von einem höchstverlockenden Scharlachrot allerdings. Wegen dieser Spielsache leitete er ein spezielles dienstliches Manöver ein: Zuerst ließ er sie aus dem Protokoll heraus («Das können Sie behalten»), dann gab er Befehl, mich nochmals zu durchsuchen, obwohl er genau wußte, daß ich nichts mehr in den Taschen hatte: «Ach so! Wegnehmen!» Und damit ich nicht protestierte: «In den Karzer mit ihm!» (Welcher zaristische Gendarm hätte es gewagt, mit einem im Feld stehenden Offizier derart umzuspringen?)
    Jeder Untersuchungsrichter bekam eine bestimmte Anzahl von Zigaretten zugeteilt: für die Ermutigung der Geständigen und der Spitzel. Es gab welche, die die Zigaretten alle in die eigene Tasche steckten. – Sie schummelten sogar bei den Verhörstunden, bei den nächtlichen, für die sie gesondert bezahlt wurden: Wir bemerkten, daß sie in den Protokollen die Zeit «von» und «bis» aufrundeten. – Bei der Haussuchung in der Wohnung des freiwillig-verpflichteten Korsuchin stahl der Untersuchungsrichter Fjodorow (Station Reschety, Feldpostnummer 235) eigenhändig eine Armbanduhr. – Während der Leningrader Blockade befahl der Untersuchungsrichter Nikolai Fjodorowitsch Kruschkow der Frau seines Untersuchungshäftlings K. I. Strachowitsch, Jelisaweta Viktorowna Strachowitsch, eine Daunendecke zu bringen. «Ich brauche sie.» Sie erwiderte, daß das Zimmer, in dem die warmen Sachen lagen, versiegelt sei. Also fuhr er mit ihr nach Hause; ohne das Geheimdienstsiegel zu beschädigen, schraubte er die Türklinke ab («Das ist gute GBArbeit», erläuterte er fröhlich) und begann die warmen Sachen herauszuschleppen, stopfte sich en passant noch Kristall in die Taschen. Jelisaweta Viktorowna holte sich ihrerseits soviel sie konnte von ihrer Habe. «Genug gerafft!» ermahnte er sie und raffte selber weiter.
    Ähnliche Fälle sind ohne Zahl, tausend Weißbücher (beginnend mit 1918, versteht sich) würde das ergeben; es genügte, die früheren Gefangenen und ihre Frauen systematisch zu befragen. Vielleicht gab’s auch Blaubemützte, die niemals gestohlen, nichts sich angeeignet hatten, doch für mich ist solch ein

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