Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
dieses Bezirks stehen in deiner Gewalt, und es ist deine Macht über sie unvergleichlich stärker als jene des Kommandeurs, des Direktors, des Bezirkssekretärs. Jene verfügen über den Dienst der Leute, über ihr Gehalt und den guten Namen, du aber – über ihre Freiheit. Und niemand wird es wagen, bei einer Versammlung über dich zu sprechen, niemand, über dich in der Zeitung zu schreiben – nicht nur Schlechtes! nein, auch Gutes über dich zu schreiben ist verboten! Du darfst, eine behütete Gottheit, noch nicht einmal erwähnt werden! Du bist für alle spürbar und zugegen – und gleichsam auch wie nicht existent! Und darum stehst du über der sichtbaren Macht von dem Augenblick an, da du dein Haupt mit der himmelblauen Mütze gekrönt hast. Was du tust, untersteht niemandes Kontrolle, alle anderen haben sich deiner Aufsicht zu unterwerfen. Darum ist’s ratsam, den einfachen sogenannten Bürgern gegenüber (die für dich einfach Holzklötze sind) einen rätselhaften, tiefsinnigen Ausdruck aufzusetzen. Denn dir allein sind die besonderen Überlegungen bekannt, niemandem sonst. Und darum hast du immer recht.
In einem Punkt nur darfst du dich nie vergessen: Auch du wärst derselbe Holzklotz geblieben, wenn nicht das Glück dir widerfahren wäre, ein Körnchen von den Organen zu werden, von diesem wendigen, kompakten, lebendigen Wesen, das im Staate lebt wie ein Bandwurm im Menschen; und alles ist jetzt dein, alles für dich! Bleib nur treu, verrate die Organe nicht! Man wird sich stets für dich einsetzen! und dir jeden Widersacher zu verschlingen helfen! und jedes Hindernis aus dem Weg räumen! Bleib nur treu, verrate die Organe nicht! Mach alles, wie befohlen! Auch den rechten Platz werden sie für dich aussuchen.
Die Arbeit des Untersuchungsrichters ist zweifellos anstrengend: Du mußt nachts kommen, mußt tags kommen, mußt Stunde um Stunde absitzen, besser ist’s also, du zerbrichst dir deinen Kopf nicht über «Beweise» (soll sich der Untersuchungshäftling den seinen darüber zerbrechen), denk nicht nach über Schuld oder Unschuld, mach, wie die Organe es brauchen, und die Sache wird klappen. Von dir allein wird es dann abhängen, daß die Untersuchung so geruhsam wie möglich vonstatten geht, dabei der Arbeitsaufwand möglichst niedrig und der abfallende Gewinn möglichst lukrativ bleibt und du auch sonstwie nicht um dein Vergnügen kommst. Da sitzt du also brav, und plötzlich, heureka! fällt dir eine neue Methode der Einflußnahme ein, rasch ans Telefon, die Freunde verständigt, rasch von einem zum anderen die Nachricht gebracht – ach, welch ein Spaß! Probieren wir’s doch gleich aus, Leute, an wem? Ist doch langweilig, immer dasselbe, immer die zitternden Hände, die flehenden Augen, die feige Unterwürfigkeit – wenn doch nur einer ein winziges bißchen sich wehren würde! «Ich mag starke Gegner! Es tut wohl, ihnen das Rückgrat zu brechen!»
Wenn aber einer so stark ist, daß er durchaus nicht aufgeben will, alle deine Methoden zunichte macht? Du bist wütend? Tu dir ja keinen Zwang an! Es ist ein enormer Genuß, ein Höhenflug! – deiner Wut freien Lauf zu lassen, außer Rand und Band zu geraten, wo dich keiner aufhält! Brust heraus und rette sich, wer kann! Dies ist genau der Zustand, in dem man dem verfluchten Häftling in den Mund spuckt, sein Gesicht in den vollen Spucknapf drückt! Genau der Zustand ist’s, in dem man Priester an den Haaren zerrt und dem Mann auf den Knien ins Gesicht pißt! Nach der Raserei fühlst du dich als echter Mann!
Oder du verhörst ein Mädchen «wegen Ausländerfreundschaft». Läßt ein paar Mutterflüche auf sie los, fragst sie beiläufig: «Was denn, haben die Amerikaner gar einen geschliffenen …? Hast vielleicht von den russischen nicht genug gehabt?» Da kommt dir jäh eine Erleuchtung: Die muß doch von den Ausländern dies und jenes gelernt haben. Laß dir das ja nicht entgehen, das ist wie eine Dienstreise ins Ausland! Und so beginnst du die hochnotpeinliche Befragung: Wie? In welchen Stellungen? … Und weiter? … Genauer! Jede Kleinigkeit! (Da lernst du viel und kannst noch den Kumpeln was abgeben!) Hochrot ist das Mädel und in Tränen aufgelöst: «Gehört das denn zur Sache?» – «Gewiß doch, erzähl!» Und sieh, das ist deine Macht – sie erzählt dir alles genau, zeichnet’s dir auf, wenn du willst, zeigt’s dir auch vor, sie hat keinen Ausweg, in deinen Händen liegt ihr Karzer und ihre Frist.
Du läßt dir fürs
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