Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
böses Zischen, wenn sie den Namen aussprechen. (Und die drinnen gewesen sind, aus denen kriegst du später nichts raus. Sie lallen nur mehr zusammenhangloses Zeug, und die übrigen sind tot.)
Suchanowka, das ist die ehemalige Jekaterinen-Einsiedelei, für die Strafgefangenen ein Bau und für die Untersuchungshäftlinge ein anderer mit 68 Mönchszellen darin. Die Fahrt mit dem Schwarzen Raben dauert zwei Stunden, und nur wenige wissen, daß das Gefängnis nahe bei Gorki Leninskije liegt, einige Kilometer vom ehemaligen Gut der Sinaida Wolkonskaja. Die lieblichste Landschaft erstreckt sich rundherum.
Der eingelieferte Sünder wird mit dem Stehkarzer empfangen, der wiederum so schmal ist, daß du nur mit den festgeklemmten Knien dich abstützen kannst, sobald du zu stehen nicht mehr die Kraft hast. Es ist der erste Betäubungsschlag, und darin lassen sie dich einen Tag und eine Nacht und länger, zur Zähmung deines Geistes. Das Essen ist in der Suchanowka fein und schmackhaft, wie sonst nirgendwo im MGB, denn sie bringen es aus dem Erholungsheim der Architekten; wozu für den Schweinefraß eine eigene Küche unterhalten? Doch was ein Architekt allein verspeist, die Kartoffeln, schön geröstet, den Fleischknödel dazu, das teilen sich hier zwölf Mann. Und darum ist der Hunger der gleiche wie überall, die Pein aber eine schlimmere.
Die Zellen dort waren jeweils für zwei Mönche gedacht, die Untersuchungsgefangenen aber sitzen einzeln. Die Zellen messen anderthalb zu zwei Meter. Genauer: 156 × 209 cm. Woher wir das wissen? Es ist der Triumph einer fachmännischen Berechnung und eines starken Geistes. Al-der D., von der Suchanowka nicht gebrochen, rechnete sich das aus. Er zwang sich, nicht verrückt zu werden und den Mut nicht zu verlieren, und sein Mittel dazu waren Kopfrechnungen. In Lefortowo zählte er seine Schritte, übertrug sie in Kilometer, versuchte, sich an die Landkarte zu erinnern, wie viele Kilometer es von Moskau bis zur Grenze waren, wie viele dann quer durch Europa, über den Atlantik. Sein Stimulus war, nach Amerika heimzukehren; und er war in dem einen Jahr in der Einzelzelle von Lefortowo gerade am Grunde des Ozeans angelangt, als sie ihn in die Suchanowka holten. Hier, da ihm aufging, daß kaum einer über dieses Gefängnis zu erzählen haben wird (unser Bericht stammt zur Gänze von ihm), war er darauf aus, die Zelle abzumessen. Am Boden des Eßnapfes fand er die Bruchzahl 10/22 und erriet, daß die «10» den Durchmesser des Bodens angab und die «22» den Durchmesser des oberen Kegelrandes. Danach zog er aus dem Handtuch einen Faden und machte sich so ein Zentimetermaß. Sein nächstes Ziel war: im Stehen schlafen zu lernen, so dachte er es sich aus: ein Knie gegen den Schemel gestützt, und so, daß der Aufseher nicht merkt, daß die Augen geschlossen sind. Er schaffte es und verlor nur darum nicht den Verstand. (Rjumin hielt ihn einen Monat lang ohne Schlaf.) In den Steinboden sind zwei runde Schemel eingeschweißt, wie Baumstümpfe, und wenn der Aufseher in der Wand das Vorhängeschloß aufsperrt, dann kippt für die sieben Nachtstunden (das heißt, für die Stunden der Verhöre, denn tagsüber wird dort überhaupt nicht verhört) aus der Wand ein Brett heraus und eine winzige Strohmatte, für ein Kind gerade recht. Am Tag sind die Schemel frei, aber darauf sitzen darf man nicht. Außerdem liegt auf vier stehenden Rohren – wie ein Bügelbrett – der Tisch. Die Lüftungsklappe im Fenster ist immer zu, am Morgen nur wird sie für zehn Minuten aufgesperrt. Das Glas ist drahtbewehrt. Zum Spaziergang wird man nie geführt, zum Austreten nur um sechs Uhr früh, wenn noch keines Menschen Därmen danach zumute ist; am Abend nie. Auf jeden Block zu sieben Zellen kommen zwei Aufseher, deswegen blickt dich das Guckloch in einem fort an; braucht ja nicht lange, der Aufseher, um an zwei Türen vorbei zur dritten zu schreiten. Darin liegt die Absicht der lautlosen Suchanowka: dir keinen Schlaf zu lassen und keinen fürs Eigenleben gestohlenen Augenblick; dich stets im Auge zu behalten und stets im Griff.
Wenn du aber den Zweikampf mit dem Wahnsinn und alle Prüfungen der Einsamkeit durchgestanden und bestanden hast, dann hast du dir deine erste Zelle verdient! Und dein Geist wird sich aufrichten nun.
Auch wenn du dich rasch ergeben hast, in allem dich gefügt und alle verraten hast, auch dann bist du für deine erste Zelle reif; obwohl es ja für dich selber besser wäre, diesen glücklichen
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