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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Umstand wettgemacht, daß der schnurrbärtige Regisseur jeden Kandidaten persönlich kannte. Er wußte, daß sie im ganzen Schwächlinge waren, und wußte auch um jedes einzelnen Schwäche. Darin lag ja seine düstere Begabung, das Überdurchschnittliche an ihm, die psychologische Weichenstellung und Errungenschaft seines Lebens: die Schwächen der Menschen auf der niedrigsten Stufe des Seins zu erkennen.
    Und auch jenen einen, der uns aus der zeitlichen Ferne als stärkster und hellster Geist in der Reihe der geschändeten und erschossenen Führer erscheint (und dem die einfühlsame Untersuchung Koestlers wahrscheinlich gewidmet ist), hat Stalin durchschaut, auch ihn, N. I. Bucharin, an der untersten Ebene gemessen, wo sich der Mensch mit der Erde verbindet – hat ihn lange im Würgegriff gehalten und sich sogar, wie die Katz mit der Maus, ein kleines Spielchen mit ihm erlaubt. Unsere bis heute wirksame (unwirksame) und überaus schön anzuhörende Verfassung wurde von A bis Z von Bucharin verfaßt; leicht hatte er sich auf die oberste Ebene geschwungen, und schwebte über den Wolken, und glaubte, Freund Koba genasführt zu haben: mit einer Verfassung, die diesen zwingen würde, die Zügel der Diktatur lockerer zu lassen. Und war doch selbst schon im Rachen drin …
    In seinen letzten Tagen machte Bucharin sich daran, einen «Brief an das zukünftige ZK» zu schreiben. Auswendig gelernt und auf diese Art bewahrt, wurde er der ganzen Welt bekannt. Erschüttert hat er sie allerdings nicht. Denn was war es, was dieser scharfe, brillante Theoretiker den Nachgeborenen mit seinen letzten Worten zu Gehör bringen wollte? Wieder ein Klageschrei, ihn in die Partei zurückzuholen (mit teurer Schmach hat er für diese Anhänglichkeit bezahlt!). Und eine abermalige Versicherung, daß er alles, was bis 1937 (einschließlich) geschehen war, «voll und ganz» billige. Und das heißt, nicht nur alle vorherigen schimpflichen Prozesse, sondern auch alle stinkigen Ströme unserer Großen Gefängniskanalisation.
    Es blieb nur mehr der unbeschwerliche Dialog mit Wyschinski, dessen Schema da war:
    «Stimmt es, daß jede Opposition gegen die Partei den Kampf gegen die Partei bedeutet?» – «Im allgemeinen – ja. De facto – ja.» – «Und der Kampf gegen die Partei muß notgedrungen in einen Krieg gegen die Partei ausarten?» – «Nach der Logik der Dinge – ja.» – «Heißt das nicht, daß oppositionelle Überzeugungen letzten Endes zu beliebigen Abscheulichkeiten gegenüber der Partei (Mord, Spionage, Verkauf des Vaterlandes) befähigen?» – «Aber erlauben Sie, die wurden nicht begangen.» – «Hätten aber können …» – «Jaa-a, theoretisch gesehen …» [lauter Theoretiker! …] – «Dennoch stehen für Sie die Interessen der Partei am höchsten?» – «Ja, natürlich, natürlich!» – «Es bleibt demnach eine ganz kleine Abweichung: Wir müssen die Eventualität realisieren, müssen im Interesse der Brandmarkung jeder künftigen oppositionellen Idee alles, was geschehen hätte können, als geschehen hinstellen. Es hätte doch geschehen können !» – «Jawohl …» – «Also muß das Mögliche als tatsächlich existent anerkannt werden, mehr nicht. Ein kleiner philosophischer Übergang. Abgemacht? … Ja, noch etwas! Brauch ich Ihnen ja nicht zu erklären: Wenn Sie dann bei Gericht einen Rückzieher machen und was anderes reden, na, Sie verstehen, daß Sie damit lediglich der Weltbourgeoisie in die Hand spielen und der Partei schaden würden. Na, und daß Sie dann keines leichten Todes sterben werden, versteht sich doch von selbst. Wenn aber alles glatt abläuft, lassen wir Sie natürlich am Leben: Sie werden heimlich auf die Insel Monte Christo gebracht und können dort über Ökonomie des Sozialismus arbeiten.» – «Aber bei den vorherigen Prozessen – haben Sie doch erschossen?» – «Aber, aber, das kann man doch nicht vergleichen: diese Leute und Sie ! Außerdem haben wir viele übriggelassen, das steht bloß in den Zeitungen so.»
    Bleibt am Ende gar vom ganzen dunklen Rätsel nichts übrig?

11
Das Höchstmaß
    Die Geschichte der Todesstrafe in Rußland windet sich im Zickzack durch die Zeiten. In der Gesetzessammlung des Zaren Alexej Michailowitsch waren fünfzig Verbrechen für das Schafott auserkoren und in den Militärsatzungen von Peter dem Großen bereits zweihundert entsprechende Delikte. Die Kaiserin Elisabeth hob die Todesstrafe zwar nicht auf, ließ sie aber auch keinmal anwenden. Es

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