Der Archipel in Flammen
wirres Gestrüpp, das war alles, was die Natur an dieser vereinsamten Stätte zeitigte, seit der Mensch hier keine Hand mehr regte.
Und warum lag die Stätte so einsam und öde? Weil der, dem dies Stückchen Erde gehört hatte, seit vielen Jahren tot war; weil seine Witwe, Andronika Starkos, die Gegend verlassen hatte, um sich zu jenen tapfern Weibern zu gesellen, die ein Ruhmesblatt in dem Freiheitskampfe der Griechen bilden; weil der Sohn seit seinem Weggange aus der Heimat keinen Fuß wieder in das Vaterhaus gesetzt hatte.
Und doch war Nikolas Starkos hier auf diesem Fleckchen Erde geboren; und doch hatte er hier die ersten Kinderjahre verlebt! Nach langem, ehrlichem Seemannsleben hatte sich sein Vater hierher in dies Asyl geflüchtet; aber er hielt sich abseits von der Bevölkerung Vitylos, deren Sittenlosigkeit ihm ein Greuel war. Im Besitz einer besseren Bildung und mit mehr Sinn für Behaglichkeit und Ruhe ausgestattet, als die Leute von Vitylo, war es ihm gelungen, sich mit seiner Frau und seinem Kinde hier oben in diesem abgelegenen Schlupfwinkel eine Art Einsiedlerleben zu gründen, von kaum jemand gekannt, von kaum jemand gestört, bis er es eines Tags in jähzorniger Regung wagte, Widerstand gegen die Tyrannei zu leisten, und sein Beginnen mit dem Tode büßte. Den türkischen Spähern entging niemand, und wenn er an der äußersten Grenze der Halbinsel hauste!
Als der Vater nicht mehr am Leben war, sah sich die Mutter außer stande, den Sohn in Rand und Band zu halten. Nikolas verließ das Vaterhaus und ging auf die See, trieb Seeräuberei und vergeudete die ihm angeborenen vortrefflichen Gaben für diesen Beruf im Umgange mit dem Abschaum der seefahrenden Bevölkerung der Levante.
Seit zehn Jahren war das Häuschen am Felshange vom Sohne, seit sechs Jahren von der Mutter verlassen. Indessen hieß es in der Gegend, Andronika käme dann und wann dort hin zurück. Wenigstens meinte man sie gesehen zu haben, wenn auch in langen Zwischenräumen und immer nur auf ganz kurze Zeit, ohne daß sie mit jemand aus Vitylo ein einzigesmal verkehrt hätte.
Nikolas Starkos war nun zwar gelegentlich seiner Meerfahrten ein paar mal nach Magnos zurückgeführt worden, hatte aber niemals bis zu diesem Tage Lust bezeigt, sein bescheidenes Vaterhaus wieder aufzusuchen. Niemals hatte er Erkundigung eingezogen, in welchem Stande es sich befände. Niemals war eine Anspielung auf seine Mutter über seine Lippen gekommen, ob sie zuweilen noch in die verödete Behausung den Fuß setzte oder wann und wie lange sie zuletzt hier gewesen sei; wohl aber mochte in jener Zeit wilder schrecklicher Ereignisse, die damals Griechenlands Boden mit Blut düngten, der Name Andronika bis zu ihm hin gedrungen sein: ein Name, der ihm das Gewissen hätte zerreißen müssen, wäre dasselbe nicht hart wie Leder gewesen.
Und doch war Nikolas Starkos heute im Hafen von Vitylo vor Anker gegangen, und zwar nicht bloß zu dem Zwecke, die Mannschaft seiner Sakolewa um zehn Köpfe zu verstärken. Ein Verlangen – mehr als dies – ein gebieterischer Instinkt, über den er sich vielleicht kaum selber Rechenschaft zu geben vermochte, hatte ihn dorthin getrieben. Das Bedürfnis hatte sich in ihm geregt, noch einmal, zweifelsohne zum letztenmale, das Vaterhaus wiederzusehen, noch einmal auf jenem Boden zu wandeln, auf welchem seine Beinchen die ersten Schritte gemacht hatten, noch einmal die Luft zwischen jenen Mauern zu atmen, wo er den ersten Atemzug getan, wo er die ersten Kindesworte gelallt hatte. Ja! darum stieg er die rauhen Pfade hinauf, die am Uferfelsen zu jener Stätte führten – darum stand er zu dieser Zeit und Stunde vor der Hecke, die den kleinen Platz umschloß.
Da überkam ihn eine Empfindung, als solle er den Fuß nicht weiter setzen! Es schlägt ja kein Herz in einer Menschenbrust, verhärtet genug, daß es sich nicht zusammenkrampfte angesichts gewisser Erscheinungen aus der Vergangenheit! und kein Mensch wird geboren, der nicht an die Stätte seiner Geburt, wo ihn die Mutter in Schlaf gewiegt und am Gängelband geführt, mit heiliger Empfindung zurück dächte! So war es auch Nikolas Starkos ums Herz, als er auf der Schwelle des verlassenen Häuschens stand, in dessen Innern es so finster, so still, so tot war wie draußen.
"Hinein!... ja doch ... hinein!"
Dies waren die ersten Worte, die den Weg über des Mannes Lippen fanden. Aber er sprach sie nicht, er flüsterte sie bloß, gleich als ob er Furcht gehabt hätte, daß man ihn
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