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Der Archipel in Flammen

Titel: Der Archipel in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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hören könne, daß durch seine Worte eine Erscheinung aus der Vergangenheit geweckt werden könne.
    Was war leichter als den Fuß in diese Einfriedigung zu setzen! Die Hecke war zerstört, die Tür verfallen; die Angeln lagen auf der Erde. Also nicht einmal eine Tür brauchte er aufzuklinken, nicht einmal einen Riegel wegzuschieben!
    Nikolas Starkos trat über die Hecke. Vor dem Hause blieb er stehen; die vom Regen halb verfaulten Läden hingen kaum noch an den verrosteten Beschlägen.
    Da flog eine Eule mit heiserem Geschrei aus einem Lentiskenbusche auf, der den Weg über die Schwelle versperrte.
    Dort zauderte Nikolas Starkos von neuem. Und doch war er fest entschlossen, die Behausung bis auf ihr kleinstes Kämmerchen zu besichtigen. Aber er ward von dumpfem Groll ergriffen über das, was in seinem Innern vorging, daß es sich dort regte wie Gewissensbisse. Ergriffen fühlte er sich, ja! aber auch erbost! – es kam ihm vor, als höbe sich von diesem väterlichen Dache gleichsam ein Vorwurf gegen ihn, gleichsam ein letzter Fluch!
    Darum kam ihm der Einfall, um das Haus herumzugehen, bevor er den Fuß hineinsetzte. Es war finstere Nacht. Niemand sah ihn, sah er sich doch selber nicht! Bei hellem Tageslicht wäre er vielleicht nicht hergekommen; mitten in der Nacht fühlte er sich kühner, seinen Erinnerungen zu trotzen.
    Nun schlich er, gleich einem Missetäter, der die Zugänge zu einer Behausung, gegen die er Böses im Schilde führt, erspähen will, um das kleine Haus herum, an den rissigen Wänden entlang, um die hinter Moos versteckten Ecken herum; mit den Händen befaßte er dieses brüchig gewordene Gestein, gleich als ob er prüfen wolle, ob noch ein bißchen Leben geblieben sei in diesem Kadaver von Haus; gespannten Ohres lauschte er, ob noch ein Herz darin schlüge! Hinter dem Hause war die Hecke noch düsterer; die schrägen Strahlen der im Schwinden begriffenen Mondsichel hätten keinen Weg hierher finden können.
    Nikolas Starkos hatte seinen Rundgang langsamen Schrittes vollendet. Die düstre Behausung bewahrte eine beängstigende Stille. Es war, als sei sie verhext oder als berge sie Visionen. Er kam zurück zu der nach Westen zu gelegenen Vorderseite.
    Nun trat er vor die Tür, um sie zurückzuschieben, wenn sie bloß durch einen Riegel gehalten wurde – um sie einzustoßen, wenn etwa die Schloßsicherung noch unversehrt geblieben war.
    Aber da schoß ihm das Blut in die Augen; es wurde ihm, wie man sagt, "rot", aber feuerrot vor den Augen. Er traute sich nicht, in dieses Haus, das er doch noch einmal besichtigen wollte, den Fuß zu setzen. Es kam ihm vor, als erschienen ihm Vater und Mutter auf der Schwelle, als höben sie die Arme, als fluchten sie ihm! ihm, dem schlechten Sohne, dem schlechten Bürger! ihm, dem Verräter an Haus und Familie, am Vaterlande!
    Da öffnete sich langsam die Tür. Eine Frau erschien auf der Schwelle. Sie trug Manioten-Tracht: einen schwarzwollnen Rock mit schmaler roter Borte, ein dunkelfarbiges Kamisol, das eng um die Taille schloß, und auf dem Kopfe eine breitfaltige braune Haube, mit einem Tuch in den Farben der Griechenflagge umschlungen.
    Dieses Weib hatte ein energisches Gesicht mit großen, schwarzen Augen von wildem Feuer und war tiefgebräunt wie die Fischerfrauen an der Küste. Sie ging noch kerzengerade, trotzdem sie über sechzig Jahre zählen mußte.
    Dies Weib war Andronika Starkos. Mutter und Sohn, seit so langer Zeit geschieden, leiblich und geistig geschieden, standen einander Auge in Auge.
    Sich seiner Mutter hier gegenüber zu sehen, darauf war Nikolas Starkos nicht gefaßt gewesen ... Durch diese Erscheinung fühlte er sich von Entsetzen geschlagen ...
    Andronika hob den Arm gegen ihn auf, zum Zeichen, daß sie ihm den Eintritt in ihr Haus verbiete, wehre, und nichts weiter sprach sie als die Worte – sprach sie mit einer Stimme, deren Eindruck um so furchtbarer war, als sie aus ihrem Munde zu ihm drangen: "Niemals wird Nikolas Starkos den Fuß wieder in das Vaterhaus setzen! ... Niemals!"
    Und der Sohn beugte sich diesem Verbote und wich langsam zurück ... das Weib, das ihn unter dem Herzen getragen, dies Weib jagte ihn jetzt von sich, wie man einen Verräter von sich jagt! Da wollte er einen Schritt vorwärts tun ... Eine Gebärde, noch energischer als die erste, eine Gebärde, die einen Fluch bedeutete, bannte ihn an den Boden.
    Nikolas Starkes fuhr zurück. Dann drehte er sich um und entwich aus dem eingefriedigten Raume. Dann schlug er den

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