Der Archipel in Flammen
an und fühlte ihnen auf den Zahn, bekam aber keinerlei Veranlassung, die ihr gewordenen Auskünfte zu bemängeln oder Verdacht zu schöpfen. Auf die ihnen gestellten Fragen, ob Korsaren im Hafen lägen, gaben sie äußerst vorsichtige Auskunft. Es ließ sich merken, daß sie sich nicht in Gefahr setzen mochten. Nicht einmal soviel konnte Henry d'Albaret erfahren, ob sich die Sakolewa "Karysta" momentan im Hafen befand.
Die Korvette erweiterte nun ihren Beobachtungsrayon bis zum Kap Crio. Am 22. durchfuhr sie das Libysche Meer, sich möglichst dicht an der Küste haltend, was hier insofern leichter war als im kretensischen Meer gegenüber, weil das Land bei weitem nicht so zerrissen und mit Vorgebirgen bespickt war, wie Kreta. Nach Norden hin stieg nun die Kette des Asprovuna-Gebirges auf, die nach Osten zu von dem vielverherrlichten Ida überragt wird, dessen ewiger Schnee selbst der Sonne des Archipels zu trotzen vermag.
Ohne in einem der kleinen Küstenhäfen vor Anker zu gehen, hielt die Korvette doch wiederholt auf offener See, in Sicht von halber Meile von Rumeli, Anopoli und Sphakia; aber kein einziges Korsarenschiff konnten die Wachen an Bord in diesen Gewässern stellen.
Am 27. August umsegelte die "Syphanta" die große Bai von Messara, dann das Kap Matala, die südlichste Spitze von Kreta, dessen Breite an dieser Stelle kaum 10–12 Meilen beträgt. Die ganze Kreuzfahrt schien resultatlos verlaufen zu sollen. Tatsächlich passieren ja auch in dieser Breite nur wenig Schiffe das Libysche Meer, in der Regel fahren sie weiter nördlich durch den Archipel oder weiter südlich an den Küsten Aegyptens hin. Henry d'Albaret war schon entschlossen, direkt auf Scarpanto hin zu steuern, auf die Gefahr hin, dort früher einzutreffen als der geheimnisvolle Brief bestimmte: als am Abend des 29. Augusts seinen Plänen eine andere Richtung gegeben wurde.
Es war in der sechsten Abendstunde. Der Kommandant, der zweite Offizier und andere Herren vom Stabe standen, im Anblick des Kap Matala versunken, auf der Brücke. Da ertönte von der kleinen Bramstenge herüber aus dem Munde des Wachmannes der Ruf:
"Schiff auf Backbord in Sicht!"
Im Nu flogen die Fernrohre an die Augen, mit Richtung über Backbord hinaus. Ein paar Meilen vom Schiffe sahen sie den gemeldeten Punkt.
"Richtig," sagte der Kommandant, "dicht am Lande segelt dort ein Schiff ..."
"Eins, das mit der Küste genau Bescheid wissen muß, sonst führe es so dicht nicht heran," bemerkte Todros.
"Hat es seine Wimpel gehißt?"
"Nein, Kommandant," versetzte einer der Offiziere.
"Fragt die Wachen, ob es sich feststellen läßt, welcher Nationalität das Schiff angehört!"
Der Befehl wurde im Nu ausgeführt. Gleich darauf kam die Antwort, daß weder an der Gaffel noch am Topp ein Wimpel flattere.
Indessen war es noch hell genug, um wenigstens festzustellen, welcher Gattung von Fahrzeugen das Schiff angehöre.
Es war eine Brigg, deren großer Mast auffällig achterwärts geneigt war. Außerordentlich lang, von sehr zierlicher Form, übermäßig hoch bemastet, mit breiten Raaen versehen, konnte es, soweit sich auf die vorhandene Distanz hin schätzen ließ, 7–800 Tonnen messen und mußte unter jedem Winde hohe Fahrt machen können. Aber war es armiert? Führte es Geschütze an Bord oder nicht? waren die Wände mit Stückpforten versehen oder nicht? Das festzustellen waren die besten Fernrohre nicht imstande.
Eine Distanz von reichlich vier Seemeilen trennte jetzt die Brigg noch von der Korvette. Zudem stand die Sonne dem Sinken nahe. Es begann zu dämmern, und drüben am Lande herrschte schon ziemlich starkes Dunkel.
"Seltsames Fahrzeug!" meinte Kapitän Todros.
"Sieht fast so aus, als suche es zwischen Platana-Insel und Küste zu passieren," setzte ein Offizier hinzu.
"Ja! wie ein Schiff, dem es leid tut, daß es sich hat sehen lassen," erwiderte Todros, "und sich nun verkriechen möchte."
Henry d'Albaret äußerte sich nicht; augenscheinlich war er aber gleicher Meinung mit seinen Offizieren. Ihr Manöver in diesem Augenblick mußte die Brigg höchst verdächtig erscheinen lassen.
"Kapitän Todros," sagte er endlich, "wir dürfen dem Schiff während der Nacht nicht aus dem Kiel kommen. Wir bleiben ihm scharf hinterher. Damit es uns nicht sieht, werden alle Lichter an Bord gelöscht."
Die Befehle waren im Nu ausgeführt. Solange die Brigg unter dem hohen Lande, an dem sie hinfuhr, sichtbar war, wurde sie beobachtet, und kaum graute am andern Tage der
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