Der Archipel in Flammen
Morgen, als Henry d'Albaret auf dem Vorsteven stand, lauernd, daß sich die Nebeldünste von der Meeresfläche hoben.
Gegen 7 Uhr zerteilte sich der Nebel. Alle Fernrohre flogen vor die Augen, in östlicher Richtung.
Die Brigg fuhr noch immer am Lande hin, jetzt etwa 6 Meilen vor der Korvette, auf der Höhe des Kaps Alikaporitha. Sie hatte also während der Nacht merklich an Vorsprung gewonnen und zwar, ohne daß sie ihr Segelzeug vermehrt hätte; denn sie fuhr noch immer nur unter ihrem Ober- und Unterbram-, Fock- und Gaffelsegel, während sie Großsegel und Klüver noch eingebunden führte.
"Sieht freilich nicht aus wie ein Schiff, das ausreißen möchte," meinte der zweite Offizier.
"Gleichviel!" versetzte der Kommandant. "Versuchen wir, es näher vor die Augen zu bekommen! Direkt zuhalten auf das Schiff, Kapitän Todros!"
Die Pfeife ertönte, als Signal, die Obersegel zu setzen – die Korvette gewann merklich an Geschwindigkeit.
Aber jedenfalls lag der Brigg daran, an Fahrt nicht hinter der Korvette zu bleiben, denn sie setzte ihren Klüverjäger und ihr großes Stagsegel – sonst nichts! Indessen fuhr sie nach wie vor im Küstenwasser, und zwar so scharf wie irgend möglich am Lande.
Gegen 10 Uhr vormittags hatte die Korvette, ob nun besser vom Winde begünstigt oder weil das unbekannte Schiff ihr etwas Vorsprung gönnte, der Brigg etwa 4 Meilen abgewonnen.
Nun konnte man sich ein besseres Bild von ihr machen. Sie war mit etwa zwei Dutzend Karronaden bespickt und mußte, obwohl sie haarscharf über Wasser fuhr, ein Zwischendeck haben.
"Die Flagge gehißt!" kommandierte Henry d'Albaret.
An der Gaffel ging die Flagge hoch und wurde mit einem Kanonenschlag begleitet. Das hieß: die Korvette wollte Klarheit über die Nationalität des Schiffs in Sicht erlangen. Keine Antwort erfolgte aber auf dies Signal. Die Brigg änderte weder Kurs noch Tempo und drehte um eine Quart bei, um die Bai von Keraton zu umschiffen.
"Nicht eben höflich, der Patron!" meinten die Matrosen.
"Vielleicht aber klug," antwortete ein alter Bootsmann, der am Besanmast lehnte; "Sieht mit seinem gekippten Mast ganz aus wie einer, dem der Hut schief auf dem Kopfe sitzt und der keine Lust hat, sich den Rand durch's Grüßen zu verschandeln!"
Ein zweiter Kanonenschlag fuhr aus der Jagdluke der Korvette – wieder umsonst! Die Brigg zeigte kein Wimpel, keine Flagge, sondern fuhr gelassen ihren Kurs, ohne sich im geringsten um die Aufforderungen der Korvette zu scheren.
Nun kam es zwischen den beiden Schiffen zu einem echten Rennen. Alles was an Segelzeug da war, hing über dem Deck der "Syphanta"; aber auch die Brigg setzte, was sie noch setzen konnte, und hielt unverrückbar Distanz.
"Der Racker hat den Teufel oder ein Teufelswerk im Leibe!" rief der alte Bootsmann am Besanmast.
Wenn die Wahrheit gesagt werden soll, so fing an Bord der Korvette die Stimmung wild zu werden an, nicht bloß bei der Mannschaft, sondern auch bei den Offizieren und nicht am wenigsten von allen bei dem vor Ungeduld tatsächlich vergehenden Todros. Mord und Brand! seinen Prisenteil hätte er geopfert, wenn er die Brigg hätte anrennen können, mochte sie sonst wem angehören!
Die "Syphanta" war am Vorderschiff mit einem Geschütz armiert, das eine bedeutende Tragweite hatte und eine Vollkugel von 30 Pfund wohl auf 2 Seemeilen schleudern konnte.
Kommandant d'Albaret, ruhig, wenigstens dem Anschein nach, gab Befehl zum Feuern.
Der Schuß krachte. Aber die Kugel schlug, nachdem sie rikoschettiert hatte, etwa 20 Fadenlängen von der Brigg ins Wasser.
Statt aller Antwort setzte die Brigg ihre obern Bonnetten und hatte bald die Distanz, die sie von der Korvette schied, erhöht.
Sollte die Korvette auf die Beute verzichten? sollte sie noch mehr Segel setzen? von neuem feuern? Für ein so flinkes Schiff wie die "Syphanta" war der Fall höchst deprimierend!
Darüber sank die Nacht hernieder. Die Korvette segelte etwa in Höhe von Peristera. Die Brise frischte merklich auf, daß es notwendig wurde, die Bonnetten wieder einzuholen und ein bescheidenes Segelzeug für die Nacht aufzumachen.
Der Kommandant war der Meinung, daß man am kommenden Tage von dem Schiffe wohl kaum noch etwas sehen würde, nicht mal die Mastspitzen mehr, die ihm vielleicht der Horizont im Osten, vielleicht ein Küstenvorsprung verdecken würde.
Er irrte sich.
Bei Sonnenaufgang war die Brigg noch immer in Sicht, noch immer in Fahrt, noch immer in der gleichen Distanz. Es war fast, als
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