Der Archipel in Flammen
ihm gemäß handeln?
"Gewiß!" sprach er bei sich; "der erste Brief, den ich in Scio bekam, hat mich nicht irre geführt, als er mich an Bord der "Syphanta" rief. Warum sollte mich der zweite irre führen wollen, wenn er mich Mitte September nach Scarpanto ruft? Wenn er es tut, so ganz gewiß nur zum Nutzen der mir anvertrauten Mission! Gewiß! ich ändere den Plan, den ich für meine Kreuzfahrten aufgestellt hatte, und werde zur angegebenen Zeit vor Scarpanto kreuzen!"
Henry d'Albaret verwahrte den Brief sorgfältig, der ihm diese neuen Weisungen erteilte, setzte sich vor seine Seekarte und legte sich einen neuen Fahrplan zurecht, der die vier Monate bis Ende August ausfüllte.
Die Insel Scarpanto liegt im Südwesten, am andern Ende des Archipels, nämlich etwa hundert Meilen in grader Fahrtlinie entfernt. An Zeit, die verschiedenen Küsten von Morea, wo es den Seeräubern leicht war, Unterschlupf zu finden, desgleichen die ganze, von der Mündung des Golfs von Aegina bis zur Insel Kreta reichende Cykladengruppe abzusuchen, würde es der Korvette nicht fehlen.
Im großen und ganzen bedingte die Rücksicht auf sein rechtzeitiges Eintreffen vor Scarpanto keine erhebliche Aenderung des vom Kommandanten bereits festgelegten Fahrplans, und am 20. Mai sichtete die "Syphanta", nachdem sie die Eilande Pelerissa, Peperi, Sarakino und Skantxura im Norden von Negroponte beobachtet, die Insel Skyros, die bedeutendste der neun Inseln, die jene Gruppe bilden, die im Altertum als Heimat der neun Musen zu gelten pflegte. In ihrem sicheren, großen Hafen mit gutem Untergrunde, Sankt Georgias, fiel es der "Syphanta" leicht, Proviant und Munition einzunehmen. Hierauf wurde die an Buchten und Baien reiche Küste aufs sorgfältigste abgesucht. Aber alle Nachforschungen blieben vergeblich. Das einzige, was Henry d'Albaret bekannt wurde, war, daß vor etwa 4 Wochen mehrere Kauffahrer in diesen nämlichen Gewässern durch ein Schiff unter Piratenflagge überfallen, geplündert und in den Grund gebohrt worden seien, und daß als Kapitän dieses Schiffes der gefürchtete Sakratif genannt würde. Aber worauf diese letztere Behauptung fuße, vermochte niemand zusagen: so groß war die Ungewißheit, die über der Existenz dieser Persönlichkeit schwebte.
Die Korvette verließ Skyros nach einem Aufenthalt von 5–6 Tagen, näherte sich gegen Ende Mai der großen Insel Euböa, die auch Negroponte heißt, und suchte auch ihre Küsten von über 40 Meilen Länge mit aller Sorgfalt ab.
Euböa war bekanntlich eine der ersten Inseln, die mit in den Aufstand traten, und zwar schon 1821; aber die Türken behaupteten sich hartnäckig in den Citadellen von Negroponte und Karystos. Als sie durch Jussuf Pascha Verstärkung bekommen hatten, überschwemmten sie die ganze Insel mit Mord und Brand in ihrer gewohnten Weise, bis ihnen ein griechischer Führer, Diamantis, im September 1823 Einhalt tat. Nachdem es ihm gelungen war, die Türken in einen Hinterhalt zu locken, ließ er den größten Teil von ihnen über die Klinge springen und zwang die Flüchtigen, sich über die Meerenge nach Thessalien zu flüchten. Zuletzt gewannen aber die Türken durch ihre numerische Ueberlegenheit wieder die Oberhand und waren seit 1826 unumschränkte Herren der Insel, auch zur Zeit noch, als die "Syphanta" auf Höhe von Negroponte erschien. Von Bord aus konnte Henry d'Albaret diesen Schauplatz blutiger Kämpfe betrachten, an denen er persönlich beteiligt gewesen war.
Dieser Teil der Kreuzfahrt, während dessen es der "Syphanta" noch gelang, gegen 20 Korsarenschiffe, die sich bis zu den Cykladen herangewagt hatten, aufzubringen, nahm den ganzen Juni in Anspruch. Von da an hielt es aber ihr Kommandant für angezeigt, andern Kurs zu nehmen, und zwar direkt südwestlich. Am 2. Juli sichtete die "Syphanta" das vom Eliasberg beherrschte Zea, das Kos oder Keos des Altertums, ging dort im Hafen, einem der besten dieser Gewässer, vor Anker und umschiffte am 5. Juli Kap Colonna an der Südostspitze von Attika. Bis zum 10. Juli hatte sie unter Windstillen zu leiden, machte zufolgedessen vom Eingange zum Golf von Aegina bis zum Isthmus von Korinth nur langsame Fahrt, beständig scharf auf dem Auslug, denn in diesen schlecht befahrenen Meeren bei solcher Windstille wäre es ein paar hundert Booten nicht schwer gefallen, sich an sie heran zu machen. Es ließen sich auch wiederholt Boote sehen, über deren Absichten der Kommandant nicht im Zweifel sein konnte; sie trauten sich aber
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