Der Architekt
Zement war bereits abgedeckt und verhängt, Kissen, Tücher, Lampen und Vorhänge waren installiert, so dass der Raum mit Rottönen, Samt, Fransen und Schleiern wie ein Beduinenzelt wirkte. Das groteske Abbild eines märchenhaften Schlafzimmers, raffiniert ausgestattet mit indirekter Beleuchtung und einer Spielwiese, die auf dem Bild noch unbenutzt aussah, bei der jedoch sofort zu erkennen war, dass sie ihren Reiz im Halbdunkeln entfalten sollte.
»Und hier?« Er warf das nächste Foto auf den Tisch. War die verspielte Boudoir-Installation eine Kissenlandschaft gewesen, so durchgleißte es diesen Raum hart, blank, nackt, wohin das Auge auch ging. Stahlrohre, Riemen, Kacheln, Gestelle, abwischbare Polster, Schienen, Federn, ovale Löffel, Klammern und Schlaufen – das blinkende Werkzeug einer seltsamen Folterkammer, deren Anblick sofort an die organischen Formen menschlicher Körper denken ließ. Metallische Härte, bei der es einen schauderte, weil man förmlich zu spüren vermeinte, wie die nackte Haut unter dem kalten Stahl nachgab.
»Was – ist – das?«, sagte Ben und legte das dritte Foto vor Sophie auf den Tisch. Ein aufs Wesentliche reduzierter Operationssaal war darauf zu sehen, mit einer Deckenleuchte, einem verstellbaren Bett, einem Wagen mit chirurgischen Instrumenten und elektronischen Überwachungsgeräten, die wirkten, als stammten sie noch aus den siebziger Jahren.
»Was geht dort vor, Sophie?« Er hatte die Stimme gesenkt.
Sie starrte an den Aufnahmen vorbei auf den Teppich.
»Geht es um Sex?«
Ihre Augen weiteten sich ein wenig, sie wirkte abwesend.
»Was ist? Feiern sie Orgien dort? Nicht nur Orgien, das findet ja in jedem dreckigen Swingerclub statt. Warum brauchen sie ein Haus, das nur die wenigsten kennen, das sich aber mitten in Berlin befindet? Ein Haus im Haus ohne Fenster, in dem solche Räume liegen, Sophie. Was machen sie dort?«
Ihr Blick war wie abgekoppelt. »Julian kommt frei.« Ihre Lippen bewegten sich kaum. »Ich wollte es dir die ganze Zeit schon sagen, aber du bist ja wie besessen von diesen Plänen.«
Ben taumelte. »Was?«
»Sebastian hat es mir vorhin gesagt, bevor er gegangen ist. Sie haben in der Tiefgarage von Lillians Wohnhaus eine Überwachungskamera entdeckt. Er kommt frei. Julian ist auf den Bildern zu erkennen, wie er seinen Wagen verlässt. Zur Tatzeit.«
Das ist das Ende, ratterte es Ben durch den Kopf.
»Er braucht Lillians Aussage nicht mehr. Es stimmt. Er war es nicht. Er hat auch ohne sie ein Alibi, und zwar eines, das man nicht fälschen kann. Er war nicht im Tiergarten, sondern bei seiner Freundin. Wahrscheinlich wollte er sie erst nicht mit hineinziehen und hat es deshalb verschwiegen. Aber jetzt kommt er frei, noch heute. Als sie die Überwachungsbänder bei der Ermittlung im Mordfall Lillian Behringer gecheckt haben, sind sie auf die Aufnahmen mit Julian gestoßen. Der Prozess gegen ihn wird abgebrochen. Er kann es nicht gewesen sein.«
Aber wer war es dann?
Ein Gefühl der Beklemmung schnürte Ben die Kehle zu.
Ihr Blick wanderte zu ihm. »Er wird hierherkommen, Ben. Es ist sein Haus.«
»Wer war es dann?« Seine Stimme war tonlos.
»Ich weiß es nicht.«
»Hilf mir, Sophie!«
Verzweifelt versuchte Ben, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Nicht sie würde ihn ausspielen,
er würde sie ausspielen.
Um von ihr zu erfahren, was es mit den Plänen und dem versteckten Haus auf sich hatte!
»Wenn Götz es nicht war«, seine Stimme verlor jede Farbe, »kann es wirklich sein, dass ich es war?«
Seine Gefühle blendeten ineinander. Spielte er es ihr nur vor? Um sie in Sicherheit zu wiegen, dass er das tatsächlich glaubte? Oder war es doch wirklich der Fall? Hatte er hier in der Villa getötet? Sekunde für Sekunde fiel es ihm schwerer, alles auseinanderzuhalten. Und er spürte, wie sich Verwirrung, Angst und bodenlose Verunsicherung auf seinem Gesicht abzeichneten.
Sophie aber saß da, lauernd, abwartend, wie eine sich anschleichende Katze.
Glaub mir, Sophie! Glaub mir, dass ich glaube, es gewesen zu sein, dann wirst du dein wahres Gesicht zeigen!
Aber ihr Gesicht blieb für Ben undurchdringlich. Er kam nicht an sie heran. Die Wut schwappte über ihn hinweg.
»Reicht dir das denn immer noch nicht!«, platzte es aus ihm heraus. »Dass ich mich bekenne, deine Schwester, deine Nichten getötet zu haben? Ist es nicht das, was du hören willst? Ist es nicht der Punkt, an den du mich schon bringen wolltest, als du das T-Shirt in meine
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