Der Architekt
Überall Durchblicke, Durchgänge, Türen, Möbel – doch niemand zu sehen. Es wirkte wie eine Kulisse, in der keiner zu Hause war.
Hinter ihr jedoch näherte sich ein Wesen, dessen Wut sie förmlich spüren konnte.
Mia stockte. War da etwas? Es war, als würde ihre Haut brennen. Hatte jemand sie angeschaut?
Nein, weiter, weiter!
Sie rannte geradeaus weiter. Durch die nächste Tür, in ein Zimmer, ein Schlafzimmer, über ein breites Bett – sie würde es zwischen sich und Vera bringen. Mia prallte gegen die Wand auf der anderen Seite des Betts, fuhr herum, sah Vera in der Türöffnung auftauchen.
Veras unverletzte Hand umklammerte etwas, ihre Augen waren blutunterlaufen. Sie wirkte, als würde sie neben sich stehen. Aber das, was ihre Hand umklammerte, war gefährlich, und sie hielt es fest. Ein Rohr, eine Stange – ein Golfschläger.
Vera schien nicht zu atmen, als sie mit dem Schläger in der Hand um das Bett herumschlich. Mia presste sich in die Ecke. Vor ihr blitzte eine Erinnerung an Vera auf. Wie sie sie kennengelernt hatte, wie sie sich an sie geklammert hatte.
»Vera …«
»Ich heiße nicht Vera.«
Es zischte. Sie hatte ausgeholt, der stählerne Schaft des Schlägers blinkte. Mia riss die Hand nach oben.
War das ein Kind in der Tür hinter Vera? Ein Mädchen?
Der Schmerz pumpte wellenartig durch Mias Körper. Der Schläger hatte sie am Kopf getroffen. Von unten schwappte es wie Tinte über ihr Sichtfeld.
82
»Hier.« Sophie schob Ben zur Seite und zog an dem Querholm des Geländers, auf das er sich gestützt hatte. Mit einem schnappenden Geräusch ließ sich der Holm lösen, das Geländer schwang nach außen. Sie trat von der Galerie auf das Fensterbrett, hielt sich mit der Linken an dem Geländer fest, erreichte das Fenster. Erst jetzt sah Ben, dass es auch als Tür benutzt werden konnte. Sophie drehte den Knauf, zog den überdimensionalen Flügel auf.
Ben folgte ihr. Rechts unter ihm glänzte der Steinfußboden der Halle. Kühl wehte es aus dem Fenster von draußen herein. Sophie hatte die Fensteröffnung bereits durchschritten und stand auf einem schmalen Sims, das außen an der Fassade entlangführte. Als Ben nach draußen gelangte, sah er, dass das Sims zwischen den oberen und den unteren Fenstern der großen Hallenaußenwand verlief. So konnte man außen an den oberen Fenstern vorbeigehen – bis zur Außenwand des Seitenflügels, der sich neben der Terrasse erhob und an dieser Stelle ganz mit Efeu überwuchert war.
Sophie bog das Efeu zur Seite. Dahinter kam eine knauflose Tür zum Vorschein, die genauso weiß getüncht war wie die Fassade. Sie stieß sie auf, und ein schmaler, vielleicht vierzig Zentimeter breiter Flur öffnete sich.
Sophie verschwand darin. Ben zögerte. Sein Blick ging in den Garten hinaus. Von diesem Punkt auf dem Sims war keines der Nachbarhäuser zu sehen. Er schaute zu der Tür, durch die Sophie zurück in das Haus gelangt war. Er konnte verfolgen, wie sie in dem Gang eine Tür öffnete, die in den Seitenflügel hineinführte. Sein Blick glitt an der Außenwand des Seitenflügels entlang, hinter der sich das Zimmer befinden musste, in dem Sophie jetzt verschwunden war. Die Mauer wurde von keinem Fenster durchbrochen.
Als Ben die Kammer betrat, in die Sophie vorausgegangen war, war es vor allem die Höhe, die ihm auffiel. Der Raum war deutlich höher als breit und kaum länger als hoch. Seine Proportionen ergaben sich daraus, dass die Kammer für den Blick von außen unsichtbar bleiben sollte.
»Das hier ist die Wahrheit, Ben. Bist du jetzt zufrieden?« Sophie hatte sich zu ihm umgewandt.
Wie in dem Häuserblock, dachte er.
Träge stieß sie sich von der Wand ab, an der sie gelehnt hatte, und ließ sich auf dem Bett nieder, das eine Querseite des Raums einnahm und aus schönem Holz maßgefertigt war. Er sah ihr dabei zu, wie sie sich auf den Rücken legte. In der Kammer duftete es frisch und sauber. Sophie hob die Arme und ließ sie über dem Kopf auf das Kissen sinken. Sie sah ihn an.
Vorsichtig trat er ans Bett, stützte ein Knie auf die Matratze, legte eine Hand auf ihren Bauch. Ihr Körper hob und senkte sich ruhig unter seiner Berührung.
»Warte.« Sie hatte sich aufgerichtet, schlängelte sich um ihn herum. Kühl berührten ihre Handflächen seine Haut, schoben sich über seinen Bauch, seine Rippen nach oben. Er wollte sich umdrehen, sie an sich ziehen, aber sie beugte sich von hinten zu seinem Ohr. »Lass mich dich ausziehen.« Das
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