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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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mit dem er sich die versengte Haut flüchtig verbunden hatte. An den Rändern hatte sich das Tuch gelblich gefärbt. Die Wunde hatte begonnen zu suppen, den Stoff bereits eingeweicht.
    »Weißt du, was ich an dir nie gemocht habe, Ben?«
    Überrascht sah er auf.
    »Der Mann, der hier gemordet hat, hat ein Verbrechen begangen, das an Grausamkeit nicht zu überbieten ist. Eine Tat, von der ich manchmal denke, dass sie nur ausgeführt haben kann, wer darauf versessen ist, sich dem Bösen hinzugeben.« Sophie sah ihn vom Sofa aus an. Ruhig, gefasst. »Jemand, der es darauf abgesehen hat, zu beweisen, dass er sich vor dem Bösen, der Untat, dem Grauen nicht fürchtet. Aber er hat im Feuer des Augenblicks gehandelt, während du, Ben, kalt, berechnend und schäbig gehandelt hast.«
    Ben atmete aus. Aber sie war noch nicht fertig.
    »Du hast dich hingesetzt und berechnet, was es dir bringt, wenn du das Feuer für dich ausschlachtest, durch das der Täter gegangen sein muss. Du bist nicht zum Sklaven deiner Triebe geworden, die dich in Abgründe gerissen hätten, vor denen ein jeder zurückschaudert. Du bist Sklave deiner Berechnung gewesen, Sklave deiner eigenen Kläglichkeit, die dich zwingt, sich an jemand anderen ranzuhängen. Du hast versucht, dir mein Vertrauen ebenso zu erschleichen wie das von Götz, indem du vorgegeben hast, ein Buch zu schreiben, das die Ereignisse aus seiner Sicht darstellt. In Wahrheit aber hast du diese Absicht nie gehabt. In Wahrheit ging es dir immer nur darum, Zugang zu jemandem zu bekommen, den du gewinnbringend aussaugen kannst. Das ist es, was ich an dir nie gemocht habe, Ben, auch wenn ich das erst jetzt wirklich begreife. In gewisser Weise stößt mich die Kälte deiner Tat noch mehr ab als die Hitze des Wahnsinns, der hier in diesem Haus vor sich gegangen sein muss.«
    Ben ließ seinen Verband los. Der beißende Schmerz war einem Pochen gewichen. Sophies Worte hatten ihn verblüfft. Aber er wusste sofort, was sie meinte. Hatte er es nicht selbst in all den Tagen als Qual empfunden? Das Gefühl, etwas Falsches zu tun, sich schmutzig zu machen, sich mit dem Blut, das hier vergossen worden war, auf seltsame Weise selbst zu besudeln? War er deshalb auf die Idee gekommen, er wäre derjenige gewesen, der die Kinder und Christine erschlagen hatte?
    Aber während er nach Worten suchte, wehte ihn noch eine andere Ahnung an. Würde Sophies Geringschätzung, die ihn eben erwischt hatte wie eine Ohrfeige, nicht Lügen gestraft sein, wenn sich herausstellte, dass sie irrte – dass er eben
nicht
jemand war, der sich nur ranhängte an das, was andere im Feuer des Augenblicks getan hatten? Wenn sich herausstellte, dass tatsächlich
er
derjenige gewesen war, der in diesem Haus gewütet hatte wie ein Wahnsinniger im Rausch des Bösen, des Grauens, des Tötens?
    Sie schaute ihn an, ihr Blick kam ihm seltsam abschätzend vor.
    Und plötzlich schoss Ben ein weiterer Gedanke durch den Kopf. War er vielleicht
erst jetzt,
wo er darüber nachgrübelte, die Tat eventuell selbst begangen zu haben, war er vielleicht
erst jetzt
da, wo Sophie ihn schon die ganze Zeit über haben wollte? Hatte sie nicht, bevor Sebastian gekommen war, gesagt, dass er sich stellen müsse? Dass sie nicht glaubte, Lillian und Götz hätten das T-Shirt bei ihm plaziert? Ja, konnte es wirklich sein, dass sie so raffiniert war, ihn auf diese Weise in den Wahnsinn zu treiben – in den Wahnsinn, der darin bestand,
diese Wahnsinnstat auf sich zu nehmen?!
Indem sie ihm vorhielt, dass seine kalte Tat sie noch mehr abstieß als der blutrünstige Mord an Christine und den Kindern?
    Plötzlich spürte Ben, wie er innerlich verhärtete. Er würde sich von ihnen nicht manipulieren lassen. Von Götz nicht, von Sophie nicht, von niemandem! Er hatte sich ihr anvertraut, aber sie verachtete ihn. Na und? Er war auf sie nicht angewiesen! Im Gegenteil, vielleicht gelang es ihm, den Spieß umzudrehen und sie auszuspielen, anstatt sich von ihr ausspielen zu lassen!
    »Lenk doch nicht ab«, presste er zwischen den Zähnen hervor und griff nach dem Grundriss auf dem Tisch. Er zog ihn beiseite, so dass darunter einige Fotos sichtbar wurden, die er im Arbeitszimmer gefunden hatte. »Es geht mir nicht um das, was hier in der Villa passiert ist, Sophie, es geht mir um
das
hier.«
    Er hielt ein Foto hoch. Es musste aus einer späteren Phase der Bebauung und Einrichtung des Häuserblocks stammen. Einer der größeren Betonräume war darauf zu sehen. Der nackte

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