Der Architekt
Sweatshirt rollte sich unter seinen Achseln zusammen. Er hob die Arme, sie zog den Stoff über seine Ohren, ihr Mund wanderte seinen Nacken entlang. Er spürte, wie sie ihn losließ, hielt die Arme noch immer empor, blind wegen des Stoffs, der um seinen Kopf hing.
»Sophie?«
Er wusste es, bevor er es hörte. Das Klacken der Tür.
»Hey!«
Er fuhr herum. Die Erregung, die ihn eben noch benommen gemacht hatte, zerplatzte.
Das Poltern seiner Schritte, der dumpfe Schlag, mit dem er gegen die Tür hieb. Das Rauschen von Blättern. Das Gezwitscher von Vögeln.
Sonst nichts.
83
Gedämpfte Schritte, Rumpeln, ein Schlag. Stille. Erneut kam jemand in den Raum. Es klapperte, eine Schublade wurde hastig zugeschoben, die Schritte entfernten sich wieder.
Plötzlich schreckte Mia hoch. Sie musste das Bewusstsein verloren haben. Noch immer befand sie sich in dem Schlafzimmer, zusammengekauert hinter dem Bett, der Golfschläger neben ihr. Jetzt war sie hellwach. Vera kam gerade um das Bett herum. Sie wirkte wie von den Toten auferstanden.
Mias Arm brannte. Sie schob sich an der Wand hoch, einen Augenblick lang standen sie sich gegenüber. Veras Nachthemd war von braunen Schlieren bedeckt, mit der Hand hatte sie eine blutverschmierte Lampe gepackt. Sie schien um Jahre gealtert, ihr Schädel zeichnete sich unter der dünn wirkenden, kalkweißen Haut ab.
Mia meinte, jedes Haar einzeln aus Veras Kopfhaut herauswachsen zu sehen. Tränen strömten ihr übers Gesicht. »Das Mädchen«, schrie sie. »Da war ein Mädchen! Was hast du mit ihr gemacht?«
»Ich war es nicht.« Veras Stimme klickerte, als würden Murmeln über Glasscherben rollen. »Du warst es! Was hast du hier zu suchen?«
Mia starrte sie an.
Es war Wahnsinn, was ihr aus diesem Gesicht entgegenschlug. Wahnsinn. Wie im Innenhaus.
Im nächsten Augenblick hatte Mia die Lampe gepackt. Vera warf sich herum, um sie ihr wieder zu entreißen. Ihr Atem schlug Mia entgegen, Veras Haare flogen ihr ins Gesicht. Doch Mia hatte sich festgebissen. Ihre Arme wurden zu Zangen, die Finger schienen mit dem Metall des Lampenschafts zu verschmelzen. Sie atmete aus, riss den Schaft an sich. Veras Arme wurden gestreckt, ihr Nachthemd bauschte sich auf. Entsetzt starrte Vera auf ihre leeren Hände.
Mia hielt die Lampe umklammert und stieß sie nach vorn, gegen Veras Gesicht. Veras Lippe sprang auf, das Blut schoss heraus, kleckerte auf das besudelte Nachthemd. Mit einem Aufschrei stolperte Vera nach hinten, stützte sich mit der Linken am Boden ab, als Mia die Lampe bereits über dem Kopf schwang. Der schwere Metallständer schien den Schlag durch sein Eigengewicht noch einmal zu beschleunigen. Es knirschte, als das Metall tief ins Fleisch drang. Ein Schwall dunklen Blutes brach aus Veras Mund hervor, ihre Hand knickte weg, der Fuß erhob sich zitternd ein Stück über den weißen Teppichboden des Schlafzimmers.
Mias Kopf schwirrte. Sie glaubte Sirenen zu hören, Alarmtöne, ein schrilles Kreischen.
Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie wahr, wie der Blick der Frau am Boden brach. Mias Kopf wandte sich zur Tür. Es war niemand zu sehen. Sie drehte sich um, die Lampe noch immer fest in der Hand. Das Zittern des Fußes hielt an. Der Hass nahm Mia den Atem. Du Schwein, pumpte es in ihr, und sie ließ die Lampe noch einmal auf den am Boden liegenden Körper niedersausen. Die Wucht des Hiebes setzte sich träge fort in der Masse, die vor ihr lag. Veras Kopf wippte, das Lid des unteren Auges zitterte über dem Augapfel.
Es schepperte, der Lampenständer war zu Boden gefallen. Mia hatte nicht einmal bemerkt, dass sie die Hand geöffnet hatte.
84
Ben lag mit dem Rücken auf dem Bett, starrte an die Decke. Das Gezwitscher der Vögel war verstummt, es musste Nacht geworden sein. Er schätzte, dass er bereits seit acht oder neun Stunden in der Kammer war.
Sie war der Schlüssel zu dem Mordfall, der ihn seit Wochen beschäftigte, davon war er überzeugt. Die Kammer! So gut war sie verborgen, dass die Spurensicherung bei der Untersuchung des Tatorts nicht darauf gestoßen war.
Götz war nicht der Täter. Der Täter musste sich in dieser Kammer verborgen haben.
Und genau deshalb hatte Götz auch immer geschwiegen. Nicht, weil er nicht wusste, dass der Täter sich hier aufgehalten hatte – sondern weil er hier jemanden
eingesperrt
hatte. Und weil er um jeden Preis wollte, dass es unentdeckt blieb!
Götz konnte darauf setzen, dass man ihn nicht verurteilen konnte – weil er zur Tatzeit
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