Der Architekt
Wohnung gebracht hast?!«
Ihre Augen blitzten.
»Es war nicht Lillian, Sophie.
Du
warst es,
du
hast dich von deinem Bruder einspannen lassen. Du hast getan, was du konntest, er hat es vorhin selbst gesagt. Das ist es, was er damit meinte, richtig? Dass du dich von ihm hast überreden lassen, mich noch viel tiefer in diese Sache hineinzuziehen, als ich Wahnsinniger mich ohnehin schon hineinverstrickt hatte!«
»Ben, hör mir zu, vorhin, auf dem Teppich, es war keine Berechnung.«
»Ach! Deshalb misstraut dir dein Bruder«, schrie er. »Weil er spürt, dass du mich magst, weil er spürt, dass er sich auf dich nicht verlassen kann! Was aber soll ich dir noch glauben, Sophie, nach all dem, was vorgefallen ist?«
»Zieh es nicht in den Schmutz, Ben, reiß nicht alles mit hinab. Wir können noch etwas retten. Es ist noch nicht zu spät.«
War es ihr ernst?
»Noch nicht zu spät! Wann wäre es denn in deinen Augen
zu spät?
Wenn ich für die Tat eines Wahnsinnigen verantwortlich gemacht werde – ist es dann zu spät? Oder erst dann, wenn ich nicht mehr dafür verantwortlich gemacht werden kann? Was soll ich denken? Auch ich habe es ernst gemeint, Sophie, vorhin, als ich dich bat, mir zu helfen. Hilf mir heraus aus diesem Dschungel von Halbwahrheiten, Andeutungen, Verdächtigungen, Gerüchten. Dann vielleicht können wir uns ansehen.«
Meinst du es wirklich so, raste es in seinem Kopf, oder willst du sie nur heranlotsen an den Abgrund, in den du sie stoßen willst? Schreckst du nicht davor zurück, ihre Zuneigung zu missbrauchen?
Er sah, wie sich Sophies Hände ineinander verkeilt hatten, wie sie ihre Finger nach hinten bog. Sie konnte sich von den Zwängen, die an ihr zerrten, nicht befreien.
Er trat zu. Der Tisch stürzte um, die Fotos rutschten über den Teppich. Pias blutiges Gesicht blitzte vor ihm auf. Er riss die Hände an den Kopf.
»Willst du wissen, was wahr ist, Ben? Bist du wirklich bereit dazu?« Ihre Stimme war laut und hell.
Was wahr ist?
Ja!
80
Die Feder im Schloss knirschte. Mia hielt die Augen geschlossen. Sie hielt sie seit Stunden geschlossen und hatte doch die ganze Nacht nicht geschlafen.
Sie beobachteten sie. Es musste eine versteckte Kamera geben. Eine Luke, durch die sie ihr etwas Essbares hätten hereinschieben können, war nicht installiert. Sie mussten es durch die Tür hineingeben.
Mia hob die Lider ein klein wenig an, linste durch die Wimpern hindurch. Aber die Tür bewegte sich nicht.
Sie spürte, wie sich ihre Blase entleerte, blieb reglos liegen.
Sie können mich auch verhungern lassen.
Im gleichen Moment öffnete sich ein Spalt in der Tür. Dahinter war nichts zu erkennen. Mias Kopfhaut juckte, am liebsten hätte sie aufgeschrien. Aber sie zwang sich dazu, das tiefe Ausatmen fortzusetzen, als wäre sie eine Schlafende.
Eine Schüssel tauchte hinter dem Spalt auf. Sie war nicht besonders groß, aber noch passte sie nicht hindurch. Der Spalt vergrößerte sich, eine Hand erschien, schob die Schüssel durch den Spalt nach vorne.
Mias Körper zog sich zusammen wie eine Sprungfeder. Ihr Arm schnellte hervor, die Hand am Kopf vorbei – ihre Finger ließen es los. Das Buch, das sie seit Stunden unter dem Kopfkissen festgehalten hatte, krachte gegen die Tür. Ein erstickter Aufschrei, die Hand wollte zurück wie ein erschrecktes Tier, zuckte Richtung Spalt, der kleiner geworden war, weil das Buch die Tür ein wenig zugeschoben hatte.
Die Schüssel schepperte zu Boden, doch da war Mia bereits an der Tür. Mit dem Fuß zuerst flog sie dagegen, rammte sie gegen die Hand, die noch in den Spalt ragte.
Es krachte. Die fünf Finger streckten sich, als wollten sie abspringen, ein Schrei, ein rauhes Röcheln, dann hatte Mia die Tür aufgerissen und starrte in Veras Gesicht, die mit schreckgeweiteten Augen am Boden kauerte, die Haare offen, ihre zerschmetterte Hand umklammernd.
81
Das Blut rauschte in Mias Ohren. Sie raste den Gang entlang, der zu der Kammer führte. Nicht zu dem Raum, in dem sie dem Mann begegnet war – in die andere Richtung! Hinter ihr hatte Vera ihre Stimme wiedergewonnen. Es war ein kehliger Laut, spitz, klar, durchdringend.
Mia achtete nicht darauf. Am Ende des Gangs befand sich eine Öffnung. Sie hastete hindurch, gelangte kurz unter freien Himmel, dann auf ein Sims, das zu weit oben lag, als dass sie auf die Erde hätte springen können. Sie war hier noch nie gewesen. Durch eine Glastür hindurch in eine Halle. Mia wirbelte um die eigene Achse.
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