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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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zu sein. Wenn ein Auto über die breite Durchgangsstraße brauste, an der sie entlangschritt, wirkte es wie ein Geschoss, das die Luft zerteilte.
    Ich muss mich beeilen, muss mich stellen. Ich darf keine Zeit vergeuden …
    Aber sie durfte sich nicht mit leeren Händen stellen. Man würde ihr niemals glauben. Sie musste beweisen können, dass sie in einem Labyrinth gefangen gehalten worden war. Aber
wo war es,
das Innenhaus, das Labyrinth, der Trichter, in den man sie gelockt hatte?
    Ein Taxi schoss an ihr vorbei. Die Häuserwand, die sich eben noch neben ihr befunden hatte, schien zurückzuweichen, der Bürgersteig immer breiter zu werden. Vor ihr sank die Straße in eine Unterführung hinab, eine Kreuzung von mindestens hundert Metern Durchmesser. Quer über die Unterführung hinweg bretterten vereinzelte Fahrzeuge in beide Richtungen, die Ampeln blinkten orange.
    Ich muss mich beeilen, flüsterte Mia sich zu. Ich darf keine Zeit mehr verlieren.
    Doch je mehr sie sich bemühte, die Kreuzung zu erreichen, desto deutlicher wurden die gigantischen Dimensionen der zwölf-, sechzehnspurigen Straße, die sie zu überqueren hatte. Wie riesig die Stadt war, in der sie suchen musste.

87
    »Sie war eine … eine was?« Ben schrie. Er stand mitten in seiner Kammer, die Arme angewinkelt, verkrampft. Der Rücken gebeugt, der Hals versteinert. Eine Ader an seinem Hals war geschwollen, die Augen brannten.
    »Sie war immer da, immer verfügbar. Sie hat hier gelebt, tagelang, wochenlang, Monate. Wann immer Götz wollte, ist er hierhergekommen. Eine Art Puppe, aber lebendig, jung, heiß.« Er rang nach Luft. »Warum deckst du das, Sophie?«
    Es war Morgen. Die Kammer wurde von einem weichen, weißen Licht erfüllt. Ben spürte seine Wunden nicht mehr. Er hatte nichts gegessen, er wusste, dass er schwach war. Vielleicht ließen sie ihn auch einfach verrecken? Vielleicht dachten sie gar nicht mehr an ihn. Hatte Sophie jemandem erzählt, was sie getan hatte? War sie verreist? War überhaupt noch jemand im Haus?
    »Hat
sie
Christine getötet, das Mädchen, das hier drin war? Und die Kinder? Haben sie von der Kammer etwas mitbekommen und mussten deshalb sterben?« Jeder Satz, den er hervorbrüllte, schrammte über seine wunde Kehle wie ein Reibeisen. »Was ist mit Lillian? Wusste sie zu viel?«
    Er brüllte gegen die Wand.
    »Du hast das T-Shirt des Mädchens in meine Wohnung gebracht, Sophie,
du warst es,
nicht Lillian. Du hast die Spuren nach dem Mord hier in der Villa verwischt. Du hast dafür gesorgt, dass die Polizei am Tatort keine Spur von einer weiteren Person mehr fand. Du hast ihn gedeckt. Und warum?«
    Ihn schwindelte.
    »Was hat Sebastian damit zu tun, Sophie? Dein Vater? Worin haben sich die beiden zu sehr verstrickt? Hat dein Vater Götz den Auftrag für das Haus im Haus gegeben? Haben sie es bauen lassen, um Geld damit zu verdienen, Sophie? Geld mit Orgien, die ihren Reiz nur in einem Geheimhaus entfalten können?«
    Die Wand, auf die er starrte, schien ihn auszulachen.
    »Dein Bruder würde alles für seinen Vater tun. Aber du, Sophie? Sie schrecken vor nichts zurück. Du auch? Ist es richtig, was sie machen? Menschen zu Puppen, zu Sklaven degradieren?
Ist das richtig?
«
    Er erstarrte. Hatte er ein Wischen, ein Hauchen an der Tür gehört?
    Nichts.
    Vorsichtig machte Ben einen Schritt auf die Tür zu.
    Nichts.
    Er beugte sich vor, legte das Ohr an die kühle Platte, die ihm den Ausgang verriegelte. Rauschen, Summen. War das auf der anderen Seite das Atmen eines Menschen?
    Sollte er anders mit ihr reden? Versuchen, sie auf seine Seite zu ziehen? »Sophie«, flüsterte er und legte eine Hand flach auf die Türplatte. Hatte er es sich nur eingebildet?
     
    Als die Tür aufflog, hatte Ben sich gerade wieder abgewandt. Die Zeit schien sich zu dehnen. Das Erste, was er mitbekam, war der Luftzug, dann hörte er das Schnappen des Schlosses. Als er sich umgedreht hatte, stand Götz bereits mitten im Raum. Im nächsten Augenblick hatte sich Bens Körper zusammengefaltet wie ein Klappmesser. Die Wucht, mit der er sich abstieß, riss sie beide zu Boden. Ben hörte Götz’ Kopf auf den Boden schlagen, sah seine Faust im Gesicht des Mannes landen. Götz’ Hände griffen nach ihm. Seine Finger bohrten sich wie Schraubenzieher in Bens Rippen. Ben flog zurück, krachte mit dem Rücken gegen das Bett. Einen Augenblick lang schien jemand das Licht gelöscht zu haben, er hörte nur das Schnaufen des anderen – dann war er wieder da.

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