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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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die jetzt ganz zusammengekauert auf ihrem Stuhl saß. »Die Feuerwehr hatte längst den Krankenwagen alarmiert«, schlich ihre Stimme durch den Gerichtssaal. »Nachdem ich ihm aufgeholfen hatte, wurde mein Sohn sofort in eine Klinik gebracht. Aber Caspar hat sich nicht mehr erholt. Acht Monate später war er tot.«

25
    Um sie herum war es dunkel. Nachdem sie zurechtgemacht worden war, hatte man ihr gesagt, dass sie sich ausruhen sollte, ein wenig schlafen am besten.
    Aber Mia war nicht müde. Ihre Haut brannte nach dem Waxing noch leicht. Die Lotion, die ihre Betreuerin aufgetragen hatte, kühlte zwar, der leichte Geruch nach Pfefferminz schien wie ein Schmerzmittel zu wirken. Und doch fühlte sie sich, als ob man ihre oberste Hautschicht entfernt hätte. Empfindlicher, schutzloser.

26
    Auf den ersten Blick wirkte der Warteraum wie jeder andere in einer beliebigen deutschen Behörde. Hoch, karg, weiß. Dieser Raum jedoch war umschlossen von Schleusen, Mauern, Wachtürmen, Gittern, Sicherheitsglas und Stacheldraht. Es war der Warteraum in der Untersuchungshaftanstalt, und Ben wartete darauf, dass die Tür aufging, die sich ihm gegenüber in der Wand befand.
    Als Richter Hohlbeck am Tag zuvor, nach der Einvernahme von Frau Janson, die Verhandlung unterbrochen hatte, war Ben aufgestanden und hatte den Saal durch den Zuschauereingang verlassen. So schnell er konnte, war er Aufgang N hinuntergelaufen und von dort in den Hauptgang, von dem Saal 621 abzweigte. Als er den Saaleingang erreicht hatte, stand Frau Janson noch bei dem Mann, auf den er es abgesehen hatte: Steffen Seewald, einer der beiden Verteidiger von Julian Götz, der Mann mit den Koteletten.
    Ben sah, wie Seewald den Blick hob, als er bemerkte, dass er auf ihn zuging. Einen Blickkontakt hatte es zwischen ihnen bisher nicht gegeben, aber Ben zweifelte nicht daran, dass Seewald mitbekommen hatte, wie er seit einigen Tagen bereits die Verhandlung verfolgte. Wenige Schritte vor dem Verteidiger blieb Ben stehen und wartete, bis sich Frau Janson von dem Anwalt verabschiedet hatte. Wie um Ben auszuweichen, wandte sich Seewald unmittelbar danach wieder zum Eingang des Saals, um darin zu verschwinden.
    Ben machte einen Schritt nach vorn. »Herr Seewald?« Er hätte den anderen am Arm berühren können, doch er hielt sich zurück. »Frau Voss, Sophie Voss, hat mir gesagt …« Er unterbrach sich, als er sah, wie Seewald sich umdrehte. »Entschuldigen Sie«, Ben streckte die Hand vor, »Ben Lindenberger, ich verfolge die Verhandlung seit ein paar Tagen.« Befriedigt stellte er fest, wie prompt Seewald auf die Erwähnung von Sophies Namen reagiert hatte. »Frau Voss hat gemeint, dass ich Sie ruhig ansprechen kann.« Ihm fiel auf, wie wachsam das Gesicht des Anwalts war.
    »Worum geht es?« Seewald schüttelte Bens Hand.
    »Ich habe bereits mit der JVA telefoniert. Dort hat man mir gesagt, dass ich einen Besuchstermin vereinbaren und einen Sprechschein beantragen muss. Bevor ich das mache, wollte ich jedoch mit Ihnen reden. Wie gesagt: Frau Voss hat mich dazu ermutigt.« Ben hatte sich überlegt, dass er sein Ziel am ehesten erreichen würde, wenn er das einfach behauptete. »Ich schreibe an einem Buch über den Fall Julian Götz und würde Herrn Götz sehr gern treffen.«
    Seewalds Haltung straffte sich. »Ich wusste gar nicht, dass ein Buch in Arbeit ist.«
    Ben lächelte. »Es ist eine großartige …«, eine »großartige Geschichte« hatte er sagen wollen, aber dann kam ihm das doch ungeschickt vor. »Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage – aber es ist eine … eine tragische, sicher, aber eben auch eine extrem
emotionale
Verhandlung«, beendete er kurzerhand den Satz. »Ein Mann verliert seine ganze Familie und endet selbst auf der Anklagebank, obwohl er unschuldig ist. Ich kann verstehen, wenn für Sie dieser Blickwinkel vielleicht … gewöhnungsbedürftig ist. Aber das ist wirklich eine ungemein spannende Konstellation, und ich wundere mich, wieso nicht schon zwei oder drei andere Autoren den Prozess verfolgen.«
    Seewald hatte von Anfang an distanziert gewirkt, aber jetzt blinkte in seinen Augen unverhohlenes Misstrauen.
    »Herr Lindenberger, was für mich ›gewöhnungsbedürftig‹ ist, wie Sie sagen, und was nicht, darüber sollten Sie sich keine Gedanken machen. Sie entschuldigen mich, die Verhandlung wird gleich fortgesetzt, ich muss noch etwas vorbereiten.« Er wandte sich jedoch nicht sofort ab, sondern schien darauf zu warten, dass Ben ihn

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