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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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entließ.
    Der dachte jedoch nicht daran. »Ich hatte gehofft, Sie würden mein Vorhaben unterstützen.«
    »Und wieso?«
    »Sind Sie nicht daran interessiert, dass der Fall aus der Sicht Ihres Mandanten dargestellt wird?«
    Seewalds Blick flackerte an Ben vorbei den Gang hinunter. »Wieso aus der Sicht meines Mandaten? Geht es in Ihrem Projekt etwa nicht um ein ausgewogenes Bild?«
    »Sicher, das auch«, Ben spürte, wie er langsam Seewalds Aufmerksamkeit gewann. »Aber … lassen Sie es mich so sagen: Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Helden, der seine Frau und seine beiden Kinder getötet hat, und einem Helden, der Opfer eines übermächtigen Justizapparates geworden ist, dann wähle ich lieber den Helden, der als Opfer die Sympathie meiner Leser hat. Verstehen Sie?«
    Seewald schüttelte den Kopf. »Nein …«
    Er musste es anders versuchen. »Ich bin ein großer Bewunderer der Architektur von Herrn Götz«, sagte Ben und sah den Anwalt direkt an. »Ich glaube nicht daran, dass ein Mann an einem Tag einen Museumsbau plant und am nächsten seine Kinder erschlägt.«
    Seewald nickte langsam. Aber Ben spürte, dass er ihn noch immer nicht da hatte, wo er ihn haben wollte. Dabei war es der entscheidende Moment. Wenn es ihm nicht gelang, über Seewald ein Treffen mit Götz zu vereinbaren, war sein ganzes Projekt gefährdet.
    »Nicht dass Sie denken, ich wollte Ihnen zu nahe treten, Herr Seewald«, sagte er vorsichtig, »aber ist Ihnen klar, welche Publicity ein sorgfältig gemachtes Buch über den Fall auch für Sie selbst beinhalten würde?« Ben hob rasch abwehrend die Hand. Das war riskant. Mit Sicherheit würde Seewald auf die Unterstellung, den Fall zu seinem eigenen Vorteil ausnutzen zu wollen, empfindlich reagieren. »Aber das soll nun wirklich keine Rolle spielen. Nein, lassen Sie mich da ganz klar sein. Ich glaube nicht, dass Ihnen an so etwas liegt. Aber ich sage Ihnen gleichzeitig auch, dass ich meinerseits
nicht
ganz so selbstlos bin. Für mich ist dieses Buch ganz persönlich ein sehr wichtiges Projekt.«
    Seewald schien langsam wieder ungeduldiger zu werden. »Ja?« Seine Augen zuckten.
    »Ja. Wobei mein Buch über den Fall aber eben nicht nur für mich, sondern auch für Sie und für Ihren Mandanten sehr spannend sein dürfte.« Ben drehte sich ein bisschen zur Seite, wie um zu unterstreichen, dass er sich nicht etwa anbiedern wollte. »Wie soll ich jedoch ein angemessenes Bild von Julian Götz liefern, ein plastisches, lebendiges, anrührendes Bild, wenn ich ihm nicht einmal begegnet bin?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Deshalb wollte ich Sie bitten, ihn zu fragen, ob er sich nicht vorstellen könnte, mich einmal zu treffen.«
    Das war der Punkt. Wenn es schiefging, wenn Seewald ablehnte, war Bens ganzes Projekt nur noch einen Bruchteil dessen wert, was eigentlich darin steckte.
    Der Verteidiger bewegte den Kopf einmal von rechts nach links, als würde er damit eine Antwort geben, und tat es doch in Wirklichkeit nicht.
    »Verstehen Sie mich richtig, Herr Seewald«, Ben versuchte, im Gesicht des Anwalts zu lesen, »Ihr Mandant hat meine vollste Sympathie.«
    Das war gelogen.
Fast war es wie ein Kreischen, das in ihm losbrach, als er das sagte.
    Und als er sich, im Warteraum sitzend, daran zurückerinnerte, hallte es wie ein Echo in ihm nach. Im gleichen Moment flog die Tür auf, auf die er gestarrt hatte. Ein Justizvollzugsbeamter steckte den Kopf herein und fixierte ihn.
    »Julian Götz für Sie.«
    Er trat zur Seite, und ein Mann schritt an dem Beamten vorbei in den Raum.
    Ben schoss in die Höhe.

27
    Ihre Augen waren von Schwärze umlagert, ihr Mund frei, aber der Atem, den sie ausstieß, verfing sich an den Seiten ihrer Nase und erhitzte die obere Hälfte der Wangen. Mia ging ein paar Schritte hinter Dunja den Gang entlang, der von den Räumen, in denen sie zurechtgemacht worden waren, in die Richtung führte, aus der die Musik kam. Vorsichtig glitt sie mit den Fingerkuppen über die hauchdünne Plastikhaut, die Dunja über Mias Gesicht gezogen hatte. Eine Haut, die sich eng an ihren Kopf anschmiegte und die sich anfühlte, als wäre ihr eigenes Gesicht etwas ihr Fremdes geworden. Ein Gefühl der Stumpfheit, der Betäubung, der Künstlichkeit, das sie zugleich jedoch jede Berührung – vielleicht weil es so ungewohnt war – um so intensiver spüren ließ.
    Vor ihr trat Dunja aus dem Gang heraus in einen Saal, der sich daran anschloss. Mia folgte ihr. Das Licht in dem Saal war

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