Der Architekt
heruntergedimmt, aber sie konnte erkennen, dass sich mindestens zwei Dutzend Menschen darin befanden. Dunja wandte sich zu ihr um, das Gesicht ebenfalls hinter einer Plastikhaut verborgen, und mit einem Mal war Mia froh, durch die Maske, die sie trug, vor den Blicken, die sich jetzt langsam auf sie richteten, geschützt zu sein. Blicke, die etwas Bohrendes, ja geradezu Verletzendes zu haben schienen. Blicke, die von Menschen geworfen wurden, deren Gesichter wie ihres durch eine Gummihaut geschützt waren. Die Knochen, das Gewebe, die menschlichen Züge der Anwesenden zeichneten sich in den biegsamen und eng anliegenden Masken zwar ab, doch die Plastikhäute veränderten das Antlitz so sehr, dass Mia glaubte, eher eine Gruppe von Schaufensterpuppen vor sich zu haben als eine Gruppe von Menschen.
28
»Es ist mehr eine Spielerei, was denken Sie denn, aber der Effekt ist großartig, oder? Ich sag Ihnen, wir haben eine Party dort gefeiert, kurz nachdem es fertiggestellt war, haben Brillen verteilt, und die Leute sind regelrecht ausgetickt, wissen Sie?« Götz starrte ihn an. Ein Gesicht, das Ben unwillkürlich in seinen Bann zog. Das etwas Scharfes hatte, etwas Konzentriertes, Eindringliches, in dem tiefe Furchen von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln reichten und die Augen, groß und kräftig herausgearbeitet, ihn buchstäblich festzuhalten schienen.
»Es ist eine Leuchtflüssigkeit«, fuhr Götz fort, »die sich jeweils zwischen der oberen und der unteren Glasplatte befindet. Wenn die aktiviert wird, indem der Druckkontakt der Scheibe ausgelöst wird, beginnt sie zu strahlen. Wahnsinnig einfach im Grunde, nur hat das eben noch nie jemand vorher so gemacht.«
Um das Eis bei ihrem Gespräch brechen zu können, hatte sich Ben, nachdem er von Seewald das Okay für den Besuch in der Untersuchungshaftanstalt bekommen hatte, in einer Fachbuchhandlung einen Band über Götzens bisherige Arbeiten gekauft, einen Hochglanz-Katalog mit beeindruckenden Farbaufnahmen. Darin war ihm vor allem ein Projekt ins Auge gefallen, eine Art Glaskubus, den man betreten konnte und dessen einzelne Glasplatten in unterschiedlichen Farben zu leuchten begannen, wenn man darin umherging.
Ben lächelte. »Ich habe mir inzwischen auch noch mal eingehender einige der Bauten angesehen, die Sie in den letzten Jahren in Berlin realisiert haben. Viel Stein, viel Masse, solide gefügt – eine Formensprache, die eher an die dreißiger Jahre erinnert, an den Flughafen Tempelhof oder das heutige Finanzministerium. Umso überraschter war ich über die Farben bei diesem Entwurf, über seine Durchsichtigkeit, das Flirren von Transparenz und Bewegung. Wirklich eine Raumgestaltung, die ich mir sehr aufregend vorstelle.«
Götz ließ ihn nicht aus den Augen.
Ben lächelte. Sollte er vielleicht weniger um den heißen Brei herumreden?
»Seewald hat gesagt, dass Sie mich sprechen wollen«, meinte Götz schließlich trocken und offensichtlich ganz unberührt davon, wie unhöflich er damit zum Ausdruck brachte, auf Bens Schmeicheleien verzichten zu können.
Ben richtete sich auf. »Es geht um Ihren Fall, Herr Götz«, erwiderte er ohne Umschweife. »Ich möchte ein Buch darüber schreiben. Ich glaube, es ist eine Geschichte, die sehr vielen Menschen sehr viel zu sagen hat.«
»Ach ja? Und was?«
Ben sah kurz zu dem Fensterschlitz in der oberen Ecke des Raumes. Er war vergittert, und die Scheiben waren seit Monaten nicht mehr geputzt worden. Hinter sich hörte Ben das entfernte Hallen eines Gitters, das zugeschlagen wurde. Ein leichter Kohlgeruch lag in der Luft.
»Dass wir alle auf einer nur sehr dünnen Schicht leben, unter der etwas kauert, das jeden Moment hindurchbrechen kann.«
Als er zurück zu Götz schaute, sah der ihn prüfend an.
»Sie haben das Leben gelebt, nach dem sich jeder sehnt«, fuhr Ben fort. »Sie hatten eine großartige Frau, zwei süße Töchter. Sie haben in einem Haus gelebt, das Sie selbst entworfen haben. Sie haben eine eigene Firma, sind einem Beruf nachgegangen, der sie ausgefüllt hat. Es war beinahe wie ein Traum. Ein Traum, in den von einem Augenblick zum nächsten das Grauen eingeschlagen hat. Ohne Ankündigung, ohne Recht, ohne Gnade. Es hat in einem Moment alles zerstört, was Sie sich über Jahre hinweg aufgebaut hatten. Jetzt sitzen Sie hier, wie herabgestürzt aus den Wolken. Ein Mann, der darum kämpft, dass er für den Schicksalsschlag, den er erlitten hat, nicht auch noch verantwortlich gemacht wird.« Ben nickte
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