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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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in der der Besucher die Orientierung verliert. Etwas, das sich extrem auf seine Stimmung, seine Gefühle, ja, letztlich auf seine geistige Verfassung auswirken kann.«
    Sie schien darauf zu achten, möglichst nicht zur Anklagebank zu schauen.
    »Aber auch die Idee des Labyrinths ließ sich beliebig vertiefen, das hatten die beiden natürlich schnell begriffen. Es gibt einfache Labyrinthe oder schwierige, es gibt Labyrinthe, die nur auf einer Ebene liegen, und solche, die in drei Dimensionen gebaut sind. Und es gibt welche, in denen sich die Wände
bewegen.
In denen sich zum Beispiel bestimmte Durchgänge erst dann öffnen, wenn der Besucher einen gewissen Abschnitt durchlaufen hat, während wieder andere sich schließen. Das erschwert die Orientierung natürlich enorm. Und das wiederum wirkt sich radikal auf die Stimmung des Besuchers aus.«
    »All das haben Ihr Sohn und Herr Götz an diesem Wochenende entworfen?«
    »Nein, an diesem Wochenende haben sie uns nur zum ersten Mal davon erzählt.« Ihre Stimme klang plötzlich ein wenig heller, als würde sie lächeln, während sie an Caspar und seinen Freund zurückdachte. »Gearbeitet haben sie an diesen Ideen, die sie als ›experimentelle Architektur‹ bezeichneten, in den drei Jahren, die sich daran anschlossen. Vor allem aber kamen sie einen großen Schritt voran, als die Fakultät ihnen im achtzehnten Stock des Hochhauses am Ernst-Reuter-Platz einen Raum zur Verfügung stellte, in dem sie ein bisschen herumprobieren konnten, wie weit sich ihre Konzepte auch wirklich umsetzen ließen.«
    »Ich verstehe.«
    »Bevor sie diesen Raum bekamen, konnten sie ihre Vorstellungen ja nur auf dem Papier ausarbeiten. Die Labyrinthe, die ich gerade erwähnt habe, richtig zu
bauen,
wäre zum Beispiel viel zu kostspielig gewesen. Nachdem die Universität ihnen jedoch diesen Raum zur Verfügung gestellt hatte, konnten sie einige ihrer Ideen regelrecht
ausführen.
Das waren keine Entwürfe mehr, das waren richtige
Bauten,
verstehen Sie? Sicher, im kleinen Maßstab, in einer Größe von nur einem Zimmer, aber eben doch groß genug, um sich selbst, als lebende Person, der Architektur
aussetzen
zu können, die sie sich vorgestellt hatten. Und darum ging es ja. Damit zu experimentieren, welchen Effekt eine bauliche Idee, sobald sie umgesetzt ist, auf die Person hat, die ihr … also gewissermaßen
ausgeliefert
ist.«
    »Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?«
    Ein Schatten schien sich wieder auf ihre Stimme gelegt zu haben. »Ja, natürlich. Ich weiß noch, als Erstes fingen sie damit an, Teile des Raums mit den
Bewegungen des Besuchers
zu koppeln.« Sie atmete aus, sprach aber weiter. »Zunächst experimentierten sie mit Farben. Sie installierten bestimmte Platten an den Wänden, der Decke, dem Boden, deren Farbe sich änderte, je nachdem, wo genau sich der Besucher in dem Raum befand. Können Sie sich das vorstellen?«
    Hohlbeck nickte nachdenklich.
    »So konnte der Raum zum Beispiel von einem einheitlichen Gelb sein, bevor man ihn betrat«, führte Frau Janson weiter aus, »sich aber am Eingang dann rot verfärben, wenn man hineinging. Lief der Besucher nun in dem Raum herum, so begleitete ihn an Wänden, Boden und Decke eine rote Wolke, einem Schatten nicht ganz unähnlich. Dabei war diese Wolke aber nichts anderes als eine lokale Veränderung des Gelbs an den Wänden, das sich eben in ein intensives Rot verfärbte, je nachdem, wo man stand oder wohin man ging.«
    »Aha.«
    »Betrat dann eine zweite Person den Raum, begleitete sie zum Beispiel eine blaue Wolke. Und näherten sich die beiden Besucher an, so vermischten sich auch ihre Wolken, was einen sehr schönen Effekt ergab. Caspar hat mich einmal mitgenommen, und wir haben eine Weile mit den Farben gespielt. Ich war tief beeindruckt.«
    »Aber bei Farbexperimenten ist es nicht geblieben.«
    »Nein …« Ben sah, wie Frau Janson unruhig auf ihrem Stuhl herumrutschte. »Leider nicht. Wer von den beiden auf die Idee gekommen ist, weiß ich nicht, auf jeden Fall haben sie dann begonnen, mit Tönen und Klängen zu arbeiten, die ebenfalls von den Bewegungen des Besuchers gesteuert werden sollten. Zu der Zeit wohnte Caspar schon nicht mehr bei uns zu Hause, deshalb habe ich den Fortgang dieses Projektes nicht Tag für Tag miterlebt. Ich weiß nur, dass er mir erzählte, sie hätten damit angefangen, über Bewegungssensoren eine Musik zu steuern, die den Raum ausfüllen würde …«
    Ihre Stimme verlor sich.
    »Bitte, Frau

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