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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Janson.«
    »Ich … das war das letzte Mal, dass ich mit meinem Sohn gesprochen habe.«
    Hohlbeck ließ ihr einen Moment Zeit.
    »Das Nächste, was ich hörte«, fuhr sie leise fort, »war, dass die Universität bei mir anrief und fragte, ob ich wüsste, wo Caspar sei. Es würde um den Raum gehen, den sie meinem Sohn und Julian im Hochhaus zur Verfügung gestellt hätten. Dem Hausmeister wären in der Nacht Geräusche aufgefallen, die aus dem Raum gedrungen wären, obwohl Caspar und Julian ihn schallisoliert hätten. Jetzt würde man einmal nachsehen wollen, aber keinen Schlüssel mehr haben und keinen der beiden Studenten erreichen können. Julian war an diesem Tag nicht in Berlin, soweit ich mich erinnere, war er verreist. Ich versuchte Caspar anzurufen, bin sofort zu dem etwas heruntergekommenen Mietshaus gefahren, in dem er damals wohnte, konnte ihn aber nirgends ausfindig machen. Also bin ich zu dem Hochhaus gefahren, hinauf in den achtzehnten Stock, wo sie ihren Raum hatten. Dort hatte man sich noch nicht entschlossen, die Tür gewaltsam zu öffnen, doch als ich eintraf, bat ich darum, das so schnell wie möglich zu veranlassen. Es muss … ich hatte einfach Angst davor, Caspar könnte etwas zugestoßen sein.«
    Sie hatte die Hände rechts und links an ihre Wangen gelegt. Es war, als würde die Vergangenheit wie mit Fangarmen nach ihr greifen. »Als die Beamten der Feuerwehr die Tür mit der Axt aufgeschlagen hatten, war sofort klar, dass sich Caspar in dem Raum befand. Er hatte sich in einer Ecke zusammengekrümmt, man konnte ihn durch die Lücke in der geborstenen Tür hindurch auf dem Boden kauern sehen. Alle traten zurück, ließen mich vor. Ich weiß nicht mehr, wie ich durch die Lücke gepasst habe. Aber dann kniete ich vor meinem Sohn. Er hatte die Füße in den Boden gerammt, presste sich mit aller Kraft in die Ecke des Zimmers. Er war so bleich, wie ich ihn niemals zuvor gesehen hatte, und als ich seine Stirn berührte, war sie eiskalt. Seine Augen waren schwarz eingefallen, sein Blick irrlichterte an mir vorbei. Ich spürte, dass er mich noch erkannte, aber …«, sie suchte nach Worten, »… dass es für ihn keine Rolle mehr spielte.«
    Ben hörte, wie sie tief Luft holte und gegen das Versagen ihrer Stimme ankämpfte. »Plötzlich brach ein entsetzliches Getöse los. Irgendwer, der Hausmeister oder die Leute von der Uni, musste die Sicherung, die herausgeflogen war, wieder eingesetzt und auf diese Weise den Mechanismus, der durch die fehlende Sicherung zum Halten gekommen war, wieder in Gang gebracht haben. Ich erstarrte, und das Getöse verstummte. Erschrocken warteten die anderen vor der Tür. Erst als ich mich wieder bewegte und der Krach, ein durchdringender, beinahe schmerzhafter Lärm, erneut losschlug, begriff ich, dass Caspar und Julian die Bewegungen des Besuchers in dem Raum mit extrem leistungsstarken Lautsprechern gekoppelt hatten. Und was aus diesen Lautsprechern herausschoss, wenn man sich bewegte, waren
Schreie
 – Tausende, Zehntausende von Stimmen, Schreie der Angst, des Entsetzens, des Grauens, die auf einen hinabstießen. Eine Möglichkeit, ihnen zu entkommen, gab es nicht. Nur der absolute Stillstand bewahrte einen vor ihnen, aber die kleinste Bewegung, ein Wimpernschlag genügte, um die Stille, die einem wie eine Rettung erschienen war, wieder zu vernichten. Es reichte ein Zucken des Kopfes, schon gellte einem ein Schrei in den Ohren. Und riss man entsetzt die Hände empor, um sie sich zuzuhalten, schlug das Toben eines Heeres gequälter Seelen wie ein Chor aus der Hölle über einem zusammen.«
    Sie schwieg einen Moment, und Stille breitete sich in dem Gerichtssaal aus. Entfernt war das Klappen einer Tür zu hören.
    »Ich weiß nicht, wie Caspar auf die Idee kommen konnte, den Raum so umzugestalten.« Ihre Stimme klang brüchig jetzt, belegt und verzweifelt. »Er muss von der Idee, es auszuprobieren, wie besessen gewesen sein. Die Schreie, der Stress, der davon ausgelöst wurde, müssen ihn so verwirrt haben, dass er die Tür, die mit einem einfachen Mechanismus von innen verriegelt war, nicht mehr öffnen konnte.« Sie senkte den Kopf, sprach wie zu sich selbst weiter. »Er hat zwei Nächte und einen Tag lang ununterbrochen in dem Raum zugebracht, weiter und immer weiter von den Schreien, dem Gebrüll und dem Toben, das er selbst installiert hatte, in den Wahnsinn getrieben. Allein die Lautstärke, es war … unerträglich.«
    Hohlbecks Blick ruhte auf der Mutter,

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