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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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von feinsten Partikeln, die sich in seine Augen bohrten, in seine Mundwinkel setzten, seine Ohren befielen.
    Er riss sich hoch, tastete sich mehr mit den Händen, als dass er lief, ums Sofa herum zum Staubsauger, der noch immer gegen die Rückseite gelehnt war, und trat erneut auf den Einschaltknopf. Das laute, pfeifende Geräusch der Maschine zerrte an seinen Nerven. Ben sah den Staubbeutel, den er noch nie gewechselt hatte, förmlich vor sich. Bis zum Platzen gefüllt mit dem Dreck und den Flusen der letzten Jahre. Wahrscheinlich passte längst nichts mehr hinein, und die Maschine wirbelte den Staub nur auf. Aber er hatte keine Wahl. Er zog das lange Saugrohr ab, ließ es zu Boden fallen und ging mit dem Schlauch und dem kurzen Saugstutzen zur Vorderseite des Sofas. Eines nach dem anderen nahm er die Kissen hoch, saugte sie ab und stapelte sie auf dem Boden. In den Ritzen! Die Fussel und Körnchen und Splitterchen mussten zwischen die Polster gedrungen sein! Er hob das rechte der beiden großen flachen Polster hoch, die die Sitzbank des Sofas bildeten, saugte es ab, ließ es auf den Boden rutschen. Dann das zweite. Jetzt die Ritzen. Langsam fuhr er mit dem sich immer wieder am Stoff festsaugenden Schlauch die Kanten entlang. Bis sich mit einem Mal das laute, aber gleichmäßige Sauggeräusch zu einem schrillen Fauchen steigerte. Ben drehte den Kopf, um mit dem nicht ganz zugeschwollenen Auge das Ende des Schlauchs zu inspizieren. Ein Stück Stoff hatte sich darin verfangen. Er zog es gegen die Ansaugkraft ab, wollte es schon zu den Kissen auf den Boden werfen, um es nachher entsorgen zu können, als er stutzte. Es war kein altes Taschentuch, kein Putzlappen, keine Socke.
    Unwillkürlich hielt er sich den Stoff unter die Nase. Geruchlos. Geblümt. Er breitete das Tuch aus.
    Ein T-Shirt. Aber ein T-Shirt, das er noch nie gesehen hatte.

50
    »Sie müssen mir helfen!« Mias Atem flog. Die Frau, an die sie sich gewendet hatte, trug zwar auch eine Maske, aber irgendetwas an ihrer Erscheinung hatte bewirkt, dass Mia den Mut gefunden hatte, sie anzusprechen. »Ich weiß nicht, wie es passieren konnte. Ich wollte das nicht, ich …«
    Das Maskengesicht musterte sie.
    »Bitte!« Mias Beine schienen sich zu verflüssigen, sie sackte ein.
    Die Frau ergriff ihren Arm. Sie wirkte auf Mia unerschrocken und ruhig.
    »Ich krieg keine Luft mehr, nur einen Augenblick, bitte. Helfen Sie mir, der Ausgang … Ich muss kurz hinaus.«
    Die Maske zögerte. Sah an Mia vorbei die schiefe Ebene hinauf.
    »Können Sie mir helfen? Es dreht sich alles bei mir. Mir ist nicht gut.« Mias Stimme überschlug sich. »Es tut mir leid, dass ich Sie anspreche, ich werde Ihnen keinen Ärger machen. Ich will Sie nicht aufhalten, es dauert nur einen Moment …«
    Die Frau stützte sie. Mia spürte, wie die Kraft aus ihr entwich, wie sie sich an diese Frau hängen wollte, sich ihr überantworten, bevor es zu spät war. Sie atmete schwer, fühlte, wie ihr unmaskiertes Gesicht von den Blicken, die sich aus den Masken der anderen herauswanden, abgetastet wurde.
    Sie rutschte noch ein Stück tiefer, die Hand der Frau griff nach ihr. Die Hand, die Hand …
    Mia schwindelte. Das war keine Frauenhand. Sie war viel zu groß, viel zu kräftig! Verzweifelt griff sie nach dem Plastikgesicht. Ihre Fingernägel gruben sich in die weiche Gummimaske, der ganze Überzug kam ins Rutschen, aber nicht nur die Gummihaut, auch die Haare. Sie lösten sich vom Kopf der Frau, glitten zur Seite, entblößten den Schädel – den kahlen, harten Schädel eines Mannes, der sie jetzt losließ.
    Ungehindert stürzte Mia zu Boden, den Blick auf die augenbrauenlosen Wölbungen geheftet, die dem Gesicht des Glatzkopfes über ihr erst recht den Charakter von Nacktheit und Entblößtheit aufprägten.
    Dann lag sie am Boden. Er schritt über sie hinweg. »Hier«, hörte sie ihn entrüstet rufen. »Entschuldigen Sie, aber das geht doch wirklich zu weit.«
    Im nächsten Augenblick wurde sie gepackt. Mia fühlte, wie kräftige Arme sie hochrissen und den Spiralgang hinabschleppten.

51
    Ben warf das T-Shirt auf den Tisch, der vor dem Sofa stand. Es war ein Kinder-T-Shirt! Wieso denn ein
Kinder-T-Shirt?
Die Verwirrung fraß sich in ihn hinein.
    Hatte er nicht Lillian anrufen wollen? Aber mit dem geschwollenen Auge? Die Reizung schien ein wenig zurückgegangen zu sein, machte ihn aber immer noch wahnsinnig. So konnte er sie unmöglich treffen!
    Ruhelos ging er zu seinem Schreibtisch und

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