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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Erwartung dann, kaum dass der Besucher sich in den Bau
hineinbegeben
hat, mit einer Innengestaltung konfrontiert, die ihr diametral entgegengesetzt ist! Für mich immer noch ein grandioser Einfall, eine Art Dramaturgie der Raumgestaltung, bei der der Weg, den der Besucher durch das Gebäude nimmt, gewissermaßen als dramatischer Bogen gestaltet ist. Ein Bogen, der bestimmt ist durch das Spannungsverhältnis zwischen innen und außen.«
    Er stützte seinen rechten Ellbogen auf den Tisch, hielt die geschlossene Faust vors Kinn, während er seinen linken Arm ausstreckte und die Hand auf die Platte legte. »Sehen Sie, als ich mit Caspar damals zusammengearbeitet habe, ging es uns darum, ein Gebäude nicht wie einen Nutzgegenstand aufzufassen, sondern wie ein
Erlebnis!
Etwas, das wir erleben. Je größer die Wirkung ist, die ein Bau auf jemanden hat, desto besser! Das war die Faustregel – ein bestechend einfacher Gedanke, wie ich noch heute finde, dem aber, soweit ich weiß, kaum jemand außer uns wirklich konsequent nachgegangen ist.« Er war jetzt in Gedanken ganz bei seiner Arbeit. »Ja, im Grunde war es das, worum es uns ging: Dass ein Bau gleichsam denjenigen, der ihn betritt oder bewohnt, psychisch beeinflusst!« Seine Pupillen funkelten. »Dass er ihn regelrecht
verändert!
«
    Sein Blick wanderte an Ben vorbei zum vergitterten Fenster. »Caspar hatte damit angefangen, in diese Richtung zu denken, als er von zu Hause ausgezogen war und eine Bleibe in einem Haus gefunden hatte, das damals die ›Ruine‹ genannt wurde. Das sagt Ihnen wahrscheinlich heute nichts mehr, aber die ›Ruine‹ war ein besetztes Haus, das in Schöneberg stand, in der Nähe der Yorckbrücken.« Er schaute zurück zu Ben. »Ein frei stehender, heruntergekommener Altbau, in dem unten eine Kneipe war, ein Punkschuppen namens ›Ex und Pop‹. Oben, in den Stockwerken darüber, hausten ein paar Leute in Wohnungen, die nicht mehr abgeschlossen werden konnten. Es gab Zimmer, die vollkommen zugemüllt waren, weil jeder seinen Dreck dort reinwarf, ein oder zwei Stockwerke, in denen einige Besetzer versuchten, in WGs zu leben. Aber keiner hielt es lange dort aus. Caspar hatte sich im ersten Stock gleich über der Kneipe ein paar Zimmer genommen, hatte mit Brettern an den Wänden Regale hochgezogen und seine Bücher dort aufgestellt. Jeder konnte kommen und gehen, wie er wollte. Tagelang verließ Caspar die Wohnung nicht, verlor sich in seinen Entwürfen …«
    Götz schwieg eine Weile, sprach dann aber weiter. »Wenn man ihn sah … Gut, es gab in Berlin schon immer schräge Typen, aber wenn man Caspar sah, dann fiel er einem sofort auf. Er war lang und hager, hatte ein sehr ausdrucksvolles Gesicht, in dem immer eine Spur von Schmerz zu stehen schien. Dass er in der ›Ruine‹ wohnte, verstand er als Experiment. Er meinte, es könnte ihm den Weg in Dimensionen eröffnen, die sonst verschlossen blieben. Es war schon immer seine Art gewesen, an die Grenzen zu gehen. Aber natürlich: Wenn man alles in Bewegung versetzt, alles auflöst, alles in Frage stellt, wo soll man dann aufhören? Er begann sich merkwürdig zu kleiden, hüllte sich in Felle, die er sich selbst zurechtschnitt. Und das Erstaunlichste daran war: Es sah nicht einmal lächerlich aus. Er trug diese Felle mit einer solchen Würde, einer solchen Entschlossenheit, dass es einem sofort Respekt abnötigte.« Götz lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Zu der Zeit ungefähr bekamen wir von der Fakultät einen Raum zur Verfügung gestellt, in dem wir einige unserer Ideen ausprobieren konnten.« Er sah beinahe verträumt zu Ben. »Wir sind da sehr weit gegangen, es war sehr aufregend. Ich glaube, wir haben uns gegenseitig mit Ideen angesteckt, geradezu infiziert, wenn Sie so wollen.«
    Ben horchte auf. Mit Ideen anstecken. Hatte davon nicht Lillian gestern gesprochen?
    Götz schaute ihn an, doch sein Blick schien sich verloren zu haben.
    »Was Sie eben beschrieben haben, diese Vorstellung, sich an einer Idee infizieren zu können …« Ben spürte, dass er bei diesem Thema vorsichtig sein musste, dass es ihn aber in das Herz dieses Mannes und seines Geheimnisses führte. »Frau Behringer hat so etwas gestern auch erwähnt.«
    »Ja? Was genau?« Plötzlich schien Misstrauen in Götz’ Blick aufzuwallen.
    »Dass Sie dieses Interesse an der psychologischen Wirkung von Bauwerken mit Caspar geteilt zu haben scheinen.« Ben lächelte. »Dass er Sie damit regelrecht angesteckt

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