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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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amerikanischer Wolkenkratzerarchitektur und russischer Neuklassik. Bauten, die an die Pläne Hitlers für die nächsten tausend Jahre erinnern.
    In dem riesigen Foyer der Klinik stand, als Dr. Böhler nach einer kurzen Meldeformalität eintrat, ein kleiner, schmächtiger Mann mit einem weißen Tatarenbart und leicht geschlitzten Augen in dem ledernen Gesicht. Er war etwas vorgebeugt und schlurfte nun ein paar Schritte heran, als die Pendeltür aufschwang.
    Professor Dr. Taij Pawlowitsch.
    Er reichte dem deutschen Arzt eine welke Greisenhand. Einen Augenblick empfand Dr. Böhler ein sichtbares Erschrecken. Mit diesen kraftlosen Händen operiert er?
    Der Kapitän-Arzt wechselte einige schnelle Worte mit Professor Pawlowitsch, die Dr. Böhler nicht verstand. Es war eine Mischung zwischen Russisch und einem mongolischen Dialekt. Dann wandte sich der Arzt wieder zu ihm.
    »Der Professor hat alles vorbereitet. Der Patient liegt im großen OP, er ist bereits gewaschen – in zehn Minuten wird er narkotisiert …«
    Böhler unterbrach ihn brüsk. »Sie wollen doch nicht etwa eine Narkose geben?« Er schrie es fast. Die beiden Russen sahen ihn erstaunt an.
    »Warum denn nicht?« fragte der Professor.
    »Es kommt nur eine Lokalanästhesie in Betracht«, sagte Böhler bestimmt. »Mit einer Narkose würden wir ihn umbringen. Lokalanästhesie – ich werde sie selber vornehmen. Während der ganzen Operation Sauerstoff und Bluttransfusion durch Dauertropf in eine Knöchelvene. Bitte, lassen Sie diese sogleich anlegen, und stellen Sie die nötigen Blutkonserven zur Verfügung.«
    Dr. Böhler hatte sehr bestimmt gesprochen. Die beiden Russen starrten ihn mit offenen Augen an, aber sie akzeptierten seine Autorität. Der Kapitän-Arzt verließ den Raum, um Böhlers Anordnungen auszuführen.
    »Ich werde Ihnen assistieren«, sagte der Professor verbindlich, »ich bin sehr gespannt …«
    Mit diesen Fingern, dachte Böhler, dieser kraftlose Greis. Er warf einen forschenden Blick auf den Professor. Dann sagte er schwach:
    »Bitte!«
    Der Kapitän-Arzt kam zurück. »Betrachten Sie sich bitte ab jetzt als Privatmann! Sie sind frei!« sagte er zu Böhler.
    »Das ist sehr schön und sehr nett von Ihnen«, sagte Böhler mit deutlichem Spott. Er blickte zum Hintergrund der Eingangshalle. Dort standen drei Offiziere mit dem Zeichen des MWD: die drei Kommissare.
    Dr. Böhler atmete tief. »Gehen wir …«
    Professor Pawlowitsch ging voraus. Sanitäter rissen die Glastüren vor ihnen auf. Ein langer, weiß gekachelter Flur, ein Vorraum mit blitzenden Kränen, großen, weißen Marmorbecken, zehn Schwestern, die mit weißen Mänteln, Gummischürzen, Hauben und Mundschutz bereitstanden. Heißes Wasser strömte in die Becken, eine Schwester reichte Seife und Bürste. Es war wie ein Traum, wie ein Märchen. Dr. Böhler schrubbte sich Hände und Arme … er hielt die Hände unter den dünnen Strahl Alkohol … eine Schwester streifte ihm die Handschuhe über … der Mundschutz wurde angelegt … die weiße Haube saß auf seinem langen, schmalen Kopf … eine andere Schwester band ihm die Gummischürze um … lang, weiß, bis auf die Erde reichend. Durch die Tür trat ein junger Arzt ein, braun, drahtig, ein Armenier.
    »Patient ist bereit«, sagte er knapp.
    Professor Pawlowitsch sah Dr. Böhler an. Auch er war zur Operation bereit. Bestätigend nickte Dr. Böhler ihm zu. Der Professor ging voraus durch die kleine Tür … Geblendet, erschüttert blieb Dr. Böhler stehen: ein riesiger Raum, warm, in das gleißende Licht von vierundzwanzig Kristallampen gehüllt … hinter dem Operationstisch amphitheatralisch ansteigende Bänke … auf ihnen über hundert russische Studenten und Studentinnen … ein Schwarm von Assistenzärzten um den Tisch, Schwestern, Sanitäter, Sanitätsoffiziere. In der ersten Bankreihe ein dicker Bulldoggenkopf: Dr. Kresin. Daneben ein blasses, von schwarzen Locken umrahmtes Gesicht: Alexandra Kasalinsskaja. Neben ihr, blaß wie sie, mit kauenden Backenmuskeln erregt hin und her rutschend, Major Worotilow.
    Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß ein Deutscher operieren würde …
    Mit festem Schritt trat Dr. Böhler an den Operationstisch.
    Der Körper des Jungen war mit warmen Tüchern abgedeckt, nur das Operationsfeld, die Magenpartie, lag frei.
    »Ich mache jetzt die Anästhesie«, sagte Böhler, und der Professor gab seine Worte an die Operationsschwester weiter. Böhler sah ihr zu, wie sie eine große Spritze mit einer

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