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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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des Blechs und Zellophans lag ein runder, brauner Gegenstand. Er sah aus wie eine haarige Kugel, fühlte sich an wie Holz, gluckerte beim Schütteln und war leicht.
    Eine Kokosnuß.
    Leutnant Markow hob die Augenbrauen und schob die Unterlippe vor. Woher soll ein russischer Leutnant aus der Steppe eine Kokosnuß kennen? Er ergriff den merkwürdigen, den verdächtig runden, leichten, holzigen und haarigen Gegenstand und schüttelte ihn. Es gluckerte. Wahrhaftig, es gluckerte. Das Ding war hohl, und in dem Ding war etwas, das an die Wände schlug.
    »Was ist das?!« brüllte Markow Peter Fischer an.
    Der Plenni grinste. »Ein Elefantenei«, sagte er höflich.
    »Was?!«
    »Ein Elefantenei!«
    Die neun anderen Plennis grinsten breit. Leutnant Markow bemerkte es und wurde rot.
    »Aufmachen!« schrie er. »Dawai!«
    Peter Fischer zuckte mit den Schultern und klopfte an die harte Schale. »Es geht nicht«, sagte er. Dabei machte er ein trauriges Gesicht.
    Leutnant Markow stutzte einen Augenblick, dann riß er einem der Rotarmisten ein Seitengewehr aus der Hand und setzte es an. Der Stahl glitt an der harten Schale der Kokosnuß ab und haarscharf neben der haltenden Hand in den Tisch. Die Plennis grinsten breiter. Peter Fischer sagte sogar: »O weh!«
    Leutnant Markow wurde aschgrau. Er blickte um sich, sah auch seine Soldaten grinsen und steigerte sich in einen Anfall von Wut.
    »Beil her!« schrie er. »Ein Beil!«
    Aus der Küche brachte ein Rotarmist eine Axt. Draußen, auf dem Hof, standen die langen Schlangen der wartenden Plennis. Es hatte sich herumgesprochen, was im Inneren des Hauses vor sich ging, und der Kampf Leutnant Markows mit der Kokosnuß wurde eines der klassischen Erlebnisse der Gefangenschaft, die man nie vergaß.
    Die Axt in der Hand, sah Markow die Nuß an. »Was ist das?!« schrie er noch einmal Peter Fischer an. Aber er wartete die Antwort gar nicht ab – er schlug zu, mit aller Wucht. Die Nuß klaffte auseinander, und die Kokosmilch lief klebrig über den Tisch. Verblüfft betrachtete Markow das Innere. Weißes, festes Fleisch, appetitlich duftend – er roch daran und betastete es. »Kann man essen?« fragte er erstaunt.
    Peter Fischer nickte. »Ja.«
    »Warum nicht sagen gleich?« schrie Markow auf. Er warf die Axt in eine Ecke und schob Fischer das Paket zu. »Nächster!« schrie er.
    Es ging jetzt schnell und reibungslos. Die Kokosnuß lag Markow im Magen. Über das, was er nicht kannte, sah er jetzt hinweg, immer bemüht, sich nicht noch einmal vor aller Augen zu blamieren. Er ließ sogar eine Büchse Marmelade durchgehen, ohne sie mit einem langen Fleischmesser zu sondieren – das war ein Glück, denn in der Büchse lag ganz unten eine kleine Metallkapsel, und in dieser Kapsel befand sich ein kurzer Brief. Seine Auffindung hätte eine Sperre aller Pakete nach sich gezogen. Aber Markows Laune war verdorben, so daß ihn nicht einmal mehr die kleinen Schikanen, wie das Auseinanderbrechen der Tafeln Schokolade oder das Aufwickeln von Bonbons, reizen konnten.
    Am Abend, nach der Ausgabe der letzten Pakete an die Arbeitskolonnen, brach Festtagsstimmung im Lager aus. In den Baracken saßen die Plennis und kauten oder rauchten … Kolonnen waren unterwegs und tauschten … Zigaretten gegen Kaffee, Kakao gegen Butter, Marmelade gegen Puddingpulver und Kondensmilch. Am regsten war der Betrieb bei dem großen Tor, wo die biederen Rotarmisten alles eintauschten, um einmal deutsche Konfitüre oder deutsche Kekse zu bekommen. Und Schokolade … Heilige Mutter von Kasan … wo gab es in Archangelsk Schokolade …?
    Ein Wunderpaket hatte Peter Fischer bekommen. Nicht allein, daß er mit seiner Kokosnuß die Ordnung im Lager aus den Angeln gehoben hatte – er fand zwischen allen anderen Lebensmitteln auch einige Tüten von Eiermanns Schnellpudding.
    Eiermanns Schnellpudding ist ein schönes Ding. Man schüttet das Pulver in Wasser, rührt herum und schwupp – ist der Pudding fertig! Ohne Kochen, ohne Milch, ohne Zucker … Eiermanns Schnellpudding schaffte das … er war ein Wunder der Nahrungsmittelchemie. Auf der Tüte stand groß: Kein Kochen! Kein Anbrennen mehr! Wohlschmeckend, gesund und kräftigend!
    Peter Fischer, der immer noch dem musikalisch sehr unbegabten Michail Pjatjal Trompetenunterricht erteilte und dafür von ihm Fleisch und Fett erhielt, ließ es sich nicht nehmen, Eiermanns Schnellpudding dem Küchenleiter persönlich vorzuführen.
    Es war am gleichen Abend. Pjatjal nuggelte an seiner

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