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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zitternd vor Dr. Böhler. Der Oberarzt, der junge Armenier, vier andere Ärzte und sieben Schwestern füllten das enge Zimmer. In dem Bett lag bleich und starr Sascha Kislew.
    »Sie haben ihn getötet!« schrie der kleine Asiate in gut gespielter Erregung. »Sie haben einen Genossen gemordet!«
    Dr. Böhler sah den Professor ruhig an. Er wandte sich zu dem Toten um, und ein Blick des Mitleids glitt über die langgestreckte Gestalt.
    »Er ist bereits seit sieben Stunden tot«, sagte er mit fester Stimme. »Das wissen Sie genau.«
    »Ich habe ihn vor einer Viertelstunde lebend verlassen!« schrie Taij Pawlowitsch. »Der Oberarzt war Zeuge! Lebte er noch, Genosse Ijanew?«
    Der Oberarzt würgte. Er sah an Dr. Böhler vorbei und nickte. »Ja«, sagte er leise.
    »Na, also!« Hohn schwang in der Stimme des Asiaten. »Geben Sie nun zu, daß Sie den Genossen Kislew getötet haben?! Daß schon Ihre Operation mit der Radikalverkürzung des Magens völlig falsch war?! Gestehen Sie es doch, Sie Stümper! Sie flügellahmer Arzt von Stalingrad!« Taij Pawlowitsch sonnte sich in seinem Triumph. Er schrie, daß man es auf dem Gang hörte, und Dr. Böhler war erstaunt, mit welcher Kraft die Stimme aus dem vertrockneten Körper quoll. »Ich werde Sie wegen Mordes anzeigen! Sie haben dem Mann soeben eine Injektion gegeben!«
    »Ich habe ihn kaum angerührt! Ich habe nur an den Flecken der Haut festgestellt, daß der Tod schon vor Stunden eingetreten ist.« Dr. Böhler sah die anderen Ärzte an. »Sie wissen, meine Herren, aus der Anatomie und der Zellpathologie, daß man nicht allein aus dem Mageninhalt, sondern auch an den Leichenflecken und den Veränderungen der Innenzellen feststellen kann, ob ein Mensch im Augenblick oder schon vor Stunden gestorben ist. Ich werde deshalb den Toten sezieren …«
    »Nichts werden Sie!« schrie der Professor. »Ich verbiete es Ihnen! Der gesunde Verstand sagt ja, daß der Kranke vor einer Viertelstunde noch lebte! Ich habe Zeugen! Ich dulde nicht, daß ein deutsches Schwein an einem Genossen herumschneidet! Eine dreckige Nazisau!«
    Dr. Böhler sah ein wenig hilflos von Arzt zu Arzt. Wo sein Blick hinwanderte, senkten sich die Köpfe. Er begriff. Er stand einer Macht gegenüber, bei der es nicht um Recht ging, sondern um das autoritäre Wort eines einzelnen. Um die Ansicht des Professors Taij Pawlowitsch, des Stalinpreisträgers für Medizin. Selbst der Armenier senkte den Kopf, als Dr. Böhler ihn ansah. Unter seiner naturbraunen Hautfarbe ließ die Blässe sein Gesicht fahl erscheinen.
    »Der Patient ist durch eine Überdosis Morphium gestorben«, sagte Böhler bestimmt. »Ich kann Ihnen die Einstichstelle zeigen!« Er wollte sich dem Toten zuwenden, aber Pawlowitsch trat ihm in den Weg. Seine geschlitzten Augen leuchteten voll Haß.
    »Sie rühren den Genossen Kislew nicht mehr an!« schrie er wild. »Ich dulde keine Berührung eines Russen durch einen deutschen Hund mehr! Ich werde Sie sofort verhaften lassen! Sie Mörder!«
    In diesem Augenblick geschah etwas, was Dr. Böhler Sekunden später heftig bereute und was ihn trotz aller Ungeheuerlichkeit der Situation in seiner Ehre als Arzt verletzte. Er sah den Professor kurz an, blickte in dieses gelbe, verschrumpfte Gesicht, in die geschlitzten Augen, auf den bösen, welken Mund – und dann holte er aus und schlug Taij Pawlowitsch mitten in die asiatische Fratze hinein. Wie von einem Katapult geschossen, flog der Greis in eine Ecke des Zimmers und brach dort zusammen.
    Keiner der Ärzte rührte sich. Keiner sprang hinzu und hob den ohnmächtigen Professor auf. Wie eine Wand standen sie, und ihre Augen leuchteten.
    Das war es, was Dr. Böhler wieder zur Besinnung brachte, was ihn tief erschütterte und beschämte. Er hatte einen Kollegen geschlagen, und dort standen die anderen Ärzte und ließen ihren Chef in der Ecke liegen. Er trat einen Schritt vor – die Mauer der weißen Mäntel öffnete sich, er ging durch die Gasse zur Tür und verließ das Zimmer 9. Als er die Tür schloß, sah er, wie der Oberarzt den Professor aufrichtete und zu einem Stuhl führte.
    Im Treppenhaus der Klinik, in der Nähe der Anmeldeloge, stand er dann und wartete. Martha Kreutz kam die Treppe herab, sie hatte rote Backen. Man hatte ihr in der Arztmesse dickflüssigen Krimwein gegeben, der ihr zu Kopf gestiegen war.
    Hinter ihr kam der junge Armenier die Treppe herabgesprungen. Er reichte Dr. Böhler die Hand und schob ihn und die Schwester durch das große Tor ins

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