Der Arzt von Stalingrad
getan?« fragte er. »Sauerbrunn ist doch transportfähig. Das weißt du so gut wie ich.«
»Allerdings.« Sie lächelte ihn an. Zwischen ihren vollen Lippen leuchteten die blendendweißen Zähne. »Ich tat es nur aus Haß zu dir …«
»Aus Haß?« Sellnow lachte. »Mein Liebling, ich bin ergriffen …«
»Das kannst du.« Die Kasalinsskaja drehte sich schroff um. Über die Schulter hinweg sagte sie: »Ich werde Sauerbrunn morgen, wenn Kuwakino weg ist, arbeitsfähig schreiben. Für die Wälder …«
Erstarrt blieb Sellnow stehen. Sein Blick folgte ihrem beschwingten Gang, als sie zur Baracke schlenderte.
»Du gottverdammtes Aas«, sagte er leise. »Man sollte dich erwürgen, wenn die Nacht für dich am schönsten ist …«
Aus dem Fenster der Lungenstation klang die Stimme Janinas. Sie sang ein kleines, wehmütiges Lied …
Am nächsten Morgen fuhr Alexandra Kasalinsskaja mit dem Jeep nach Lager 12.
Sie war in der Nacht nicht erwürgt worden, aber auch Hans Sauerbrunn wurde nicht arbeitsfähig geschrieben.
Piotr Markow hatte eine schlechte Woche gehabt. Der Garten des Gefreiten Karl Georg blühte wieder! Er blühte schöner als je. Es standen sogar Stauden darin, Wuchersträuche, die mit grellen Farben Leben an die Wand der düsteren Baracke zauberten. Markow war zu Worotilow gerannt und hatte geschrien: »Ist das hier ein Gefangenenlager oder ein Park?« Und Worotilow hatte erwidert: »Das hier ist ein blühendes Gefangenenlager …« Eine Antwort, die Markow fast krank werden ließ.
Julius Kerner, der unermüdliche Organisator der Baracke und des ganzen Blocks, hatte eine neue Geldquelle für die Plennis erschlossen: Aus Lederresten, die eine Gruppe Arbeiter aus einer Schuhfabrik mitbrachte, fertigte man in den Abendstunden kunstvolle Sandalen, Pantoffeln, Portemonnaies und Brieftaschen an, auch Blumen zum Anstecken, die einen hohen Preis bei den Wachmannschaften erzielten und vor allem für die Bauernmädchen gekauft wurden, die den Soldaten die dienstfreie Zeit versüßten. So kam die Baracke schnell in den Besitz von 400 Rubel und erteilte dem in Stalingrad-Stadt arbeitenden Peter Fischer den Auftrag, eine Trompete zu kaufen.
Leutnant Piotr Markow verlor fast seine Mütze und seine Beherrschung, als er eines Abends nach dem Zählappell lautes Trompetengeschmetter über den Lagerplatz hallen hörte. Der Trompeter von Säckingen tönte auch noch, als er schreiend aus der Wachstube rannte. Dann war es still im Lager, und Markow stand einsam auf dem großen Appellplatz.
»Wer hier blasen?!« schrie er. »Wer hier Trompette?!«
Die Soldaten in den Fenstern grinsten. Karl Georg streichelte seine blühenden Stauden, Julius Kerner sang vergnügt. Es war, als sei ein lichter Engel durch das Lager gezogen … selbst die russischen Posten auf den Wachttürmen grinsten und beobachteten aus sicherer Höhe die Entwicklung der Dinge.
Leutnant Markow schwoll rot an. »Wer hier blasen?!« brüllte er hysterisch. Dann riß er seine Pfeife aus der Tasche und ließ sie in den Abend schrillen. Der Ton wurde in den Baracken weitergegeben … außerordentlicher Appell … alles antreten auf dem Platz …
»Ich euch kriggen, Hunde!« schrie Markow. »Ich euch kleinkriggen!«
Von den Baracken, aus den Blockstraßen, rannten die Gefangenen herbei. Tausende Füße trappelten. Staub wirbelte auf. In Blocks angetreten, standen sie dann auf dem weiten Platz, Männer, in Hemdsärmeln, in zerrissenen Hosen, verhungert und müde … Piotr Markow musterte sie und schnalzte mit der Zunge.
»Ihr hier stehen, bis ich gefunden Trompette!« schrie er. Dann winkte er vier Soldaten und begann, die Baracken systematisch zu durchsuchen. Er fing mit der Baracke Julius Kerners an und durchwühlte alles, was in ihr war – die Betten, die schmutzige Wäsche, den Waschraum, die Latrine …
Nichts!
Die nächste Baracke … die übernächste …
Drei – vier – sieben – zehn Baracken …
Nichts.
Leutnant Markow kam an die Tür des Lazaretts. Dort stand Dr. Kresin und beobachtete das Schauspiel. Als er Markow mit verschleierten Augen auf sich zukommen sah, hob er beide Arme und rief lachend:
»Gnade, Genosse Leutnant. Ich habe Trompette nicht geblasen …«
Mit wütendem Knurren wandte sich Markow ab und rannte zurück zur Kommandantur.
Nach einer Stunde Stehen wurde der Appell abgeblasen, die Gefangenen strömten in die Baracken zurück.
Ruhe lag wieder über dem Lager.
Als sich der Staub, den die Gefangenen in dichten Wolken
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