Der Arzt von Stalingrad
eingießen wollte. »Sie haben eine gepfefferte Angina pectoris! Das habe ich Ihnen nicht verheimlicht. Einmal macht das Herz plupp – und aus ist es mit General Polowitzkij! Dann nützt Ihnen kein Lenin-Orden mehr und kein Titel ›Held der Nation‹! Dann sind Sie zwei Zentner Fleisch und Knochen, die schnell verwesen werden. Und alles wegen des herrlichen Wodkas! Schluß, Genosse!«
Polowitzkij lachte und legte seine breiten, affenartig behaarten Hände auf den Tisch. »Was wollen Sie hier, Genosse Kresin?«
»Ich brauche Lazarett-Hilfspersonal! Dr. Böhler ist bei großen Reihenuntersuchungen. Er schafft es nicht mehr allein! Seine Untersuchungen sind von großem Wert für Moskau, vor allem in bakteriologischer Hinsicht. Wir könnten die Ergebnisse unserer Forschungen auch auf alle anderen Lagergruppen nützlich anwenden und durch geeignete Vorbeugungs- und Heilungsmaßnahmen den Leistungsstand der Arbeiter steigern! Das liegt im Interesse Moskaus.« Dr. Kresin beugte sich über den Tisch vor. »Ich brauche vor allem Laborpersonal.«
General Polowitzkij sah auf den Grund seines geleerten Glases und hatte große Sehnsucht nach einem neuen Wodka. »Ich könnte Ihnen aus der Divisionsapotheke jemanden für das Labor geben.«
»Wunderbar! Wen?«
»Terufina Tschurilowa.«
»Ein Weib?!« Dr. Kresin fuhr hoch. »Nie!«
»Nanu?« Der General schielte zu Dr. Kresin empor. »Ich denke, Sie sind darüber erhaben?«
»Aber ich habe viele tausend Männer im Lager, die seit fünf Jahren keinen Unterrock mehr gesehen haben! Wenn die Tschurilowa ins Lager kommt – ich kenne sie, sie ist verteufelt hübsch, kommt aus Georgien wie Genosse Stalin – mein Gott, Genosse General, das gibt eine Treibjagd auf röhrende Hirsche im Lager …«
Polowitzkij lachte meckernd. »Kriegen zu viel zu fressen die Kerle, was?«
Dr. Kresin sah den General schief an. »Ich glaube nicht, daß Sie einen Tag so etwas essen wie die Plennis. Aber davon wollen wir nicht reden! Ich brauche Laborpersonal. Und diese Terufina ist denkbar ungeeignet dafür. Sie bringt noch mehr Verwirrung. Habt ihr denn keine anderen Sanitäter als nur Frauen?«
»Die Tschurilowa kann etwas!« Polowitzkij angelte sich die neben Kresin stehende Wodkaflasche und goß sich, zufrieden knurrend, ein. »Außerdem kann ich sie entbehren, weil im Apothekenlabor doch nichts zu tun ist.«
»Und das ist alles, Genosse General?«
»Ja.«
Dr. Kresin erhob sich. »Dann brauche ich gar nicht weiterzusprechen! Leben Sie wohl, Genosse General. Und saufen Sie nicht zuviel!« Er stapfte zur Tür und drehte sich dort um. »Und die Tschurilowa brauchen Sie mir gar nicht zu schicken … ich verzichte darauf!«
General Polowitzkij nickte und trank sein Glas leer.
Wütend verließ Dr. Kresin die Kommandantur. Er besuchte noch Dr. von Sellnow auf seinem Krankenlager und bummelte dann durch die Stadt.
Am nächsten Morgen rollte ein Lastwagen in das Lager 5110/47 und spie einige Koffer, Kisten, ein Bett, einen Schrank und einen großen Spiegel aus.
Ihnen folgte ein schlankes, blondes Mädchen in hohen Stiefeln und einem Pelzmantel.
Terufina Tschurilowa war gekommen …
In seinem Zimmer tobte Dr. Kresin.
Dr. Böhler sah das Mädchen lange an, als es sich bei ihm vorstellte. Sie sprach ein ziemlich gutes Deutsch und war ein wenig schüchtern und befangen.
»Man hat Sie fürs Labor geschickt?« Dr. Böhler lächelte. »Haben Sie Erfahrungen in Blutuntersuchungen?«
»Ja. Ich habe sie in der Klinik in Tiflis gemacht.«
Ihre Stimme war weich und dunkel. Sie paßte gar nicht zu ihren blonden Haaren und dem schmalen, etwas blassen Gesicht. Als sie ihren Pelz auszog, trug sie darunter ein einfaches, blaues Wollkleid. Sie war sehr schlank, knabenhaft fast, mit langen, schönen Beinen und einem weißen Hals. Aber das Auffallendste an ihr waren die hellen, klaren Augen.
»Es wird eine schwere Arbeit sein, Fräulein Tschurilowa.«
Dr. Böhler zeigte ihr das neueingerichtete Labor und wies auf eine lange Reihe gefärbter Präparate in einem Holzgestell. »Ich habe im vorigen Sommer bei fast allen Gefangenen der Waldlager Malariaplasmodien festgestellt. Es gibt genug Mittel, sie zu bekämpfen, aber wir bekommen sie nicht. Deutschland ist weit und Amerika noch weiter. In Rußland – verzeihen Sie – ist die Arzneimittelindustrie ein sehr zurückgebliebener Zweig der Medizin. Vielleicht liegt es daran, daß der Russe von Natur aus ein gesunder, unverbrauchter Mensch ist und keine
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