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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in dem auch Karl Georg mitwirkte, der dafür seit einer Woche am Bettrand Gelenkigkeitsübungen vornahm. Er riß die Beine hoch, beugte den Oberkörper vor, hüpfte auf den Zehen und warf graziös die Arme zur Seite, was bei Hans Sauerbrunn und Karl Eberhard Möller große Heiterkeit erregte und ihm den Namen ›Sterbender Schwan‹ eintrug.
    Beträchtliche Erregung durchzog das Lager, als Kommissar Kuwakino aus Stalingrad Zeitungen mitbrachte. Zeitungen in deutscher Sprache!
    Die in einem Lager bei Moskau gedruckten und redigierten ›Nachrichten für die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion‹ sowie die ›Tägliche Rundschau‹ und die SED-Kulturzeitschrift ›Der Aufbau‹. Jede Baracke bekam eine Tageszeitung, jeder Block eine Monatsschrift, und dann saßen die Plennis vor ihren Betten und lasen nach Jahren wieder deutsche Worte …
    Karl Georg hatte die ›Tägliche Rundschau‹ vor und las die Außenpolitik.
    »In der Heimat hungern sie auch«, sagte er leise. »Sie haben Lebensmittelkarten, wie im Krieg, nur viel weniger!«
    »Von wann ist denn der Schmarren?« fragte Sauerbrunn, der im ›Aufbau‹ eine Abhandlung über den Kommunismus Heinrich von Kleists las – und das, was er las, nicht verstand.
    »Vom 17. Juni 1947.«
    »Und da hungern sie noch?«
    »Hier steht: Auf Abschnitt L gibt es in der kommenden Woche dreihundert Gramm Fisch pro Person! Die Eier auf E 12 können erst in vierzehn Tagen ausgegeben werden. An Stelle von Fisch kann es auch Wurstwaren im Wert von eins zu drei geben – das sind pro Kopf einhundert Gramm Wurst!«
    »Fast wie bei uns.« Peter Fischer, der seine Trompete putzte und zuhörte, schüttelte den Kopf. »Da stimmt doch was nicht«, sagte er. »Meine Mutter schreibt, es geht ihr gut, und auch zu essen gibt es genug. Wenn sie dürfte, würde sie mir gern jede Woche ein Paket schicken …«
    »Wo wohnt denn deine Mutter?«
    »In Oldenburg.«
    »Und die Zeitung kommt aus Ostberlin und ist gültig für die ganze Mark Brandenburg.«
    »Da ist der Russe.«
    »Und in Oldenburg?«
    »Der Engländer …«
    Sie sahen einander an und schwiegen. Endlich räusperte sich Georg. »Irgend etwas ist da faul! Warum bekommen die im Westen mehr zu essen als die im Osten? Man hat uns doch gesagt, daß sie im Westen in den Klauen der amerikanischen Kapitalisten verhungern und die Monopolisten daran sind, ganz Deutschland an den Rand des Abgrunds zu bringen. Darum sollen wir ja Kommunisten werden, um Deutschland vor dem Untergang zu retten, um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einzuführen, Gerechtigkeit und Brot für alle!«
    Hans Sauerbrunn legte seinen ›Aufbau‹ auf den Tisch und spuckte auf den Boden. »Ist ja alles Scheiße! Habt ihr mal was von einem Kleist gehört?«
    Peter Fischer nickte. »Der hat sich erschossen, war ein deutscher Dichter. Und weil ihn keiner drucken und spielen wollte, machte er bumm!«
    »Und der war Kommunist?«
    »Quatsch! Da gab's noch gar keinen Kommunismus!«
    »Aber hier steht: Kleists Schaffen war nichts anderes als eine Auflehnung der getretenen Kreatur gegen das beherrschende Kapital, ein kommunistischer Aufschrei der unterdrückten Rechtsnatur gegen die Sklavenhalter der Bourgeoisie! Sein Michael Kohlhaas ist ein Fanal, wie es nicht besser in den Schriften Lenins zu finden ist! – Das steht hier.«
    »Quatsch!« sagte Karl Georg.
    »Aber warum drucken sie es dann, wenn es Quatsch ist?«
    »Weil es Propaganda ist!«
    »Aber dann belügt man uns doch …«
    »Das ist der Witz der Politik, den Menschen zu belügen und zu betrügen! In der Politik ist jedes Mittel recht, das zum Ziel führt!«
    Hans Sauerbrunn warf den ›Aufbau‹ auf den Tisch und rülpste. Das feuchte Brot lag ihm schwer im Magen. »Dann trete ich wieder aus der KP aus!« sagte er hart. »Ich gehe zum Kommissar und frage ihn, was hiermit« – er klopfte auf das ›Aufbau‹-Heft – »los ist, und wenn er mir keine klare Antwort geben kann, soll er mich am Arsch lecken mit seiner Partei!«
    »Der wird dir das Nasenbein noch mal einschlagen«, meinte Peter Fischer, legte die Trompete zur Seite und griff nach der ›Täglichen Rundschau‹. »Es geht doch darum, daß wir schneller in die Heimat kommen! Sind wir erst da, dann können wir 'ne Schnauze riskieren. Jetzt sagen wir nur ja und singen die Internationale so oft, wie sie es von uns verlangen. Und wenn wir sie auskotzen müßten – wir singen sie!« Er blätterte in der großen Zeitung herum und schlug die

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