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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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– sie war jetzt achtzehn – hatte geschrieben … ein paar Zeilen unter denen der Mutter. Sie verlobte sich zu Weihnachten … Weihnachten 1947! Vor einem Jahr also! Vielleicht war sie schon verheiratet? Möller dachte an das Mädchen, das er beim letzten Urlaub geküßt hatte. Komm wieder, hatte sie gesagt und sein Haar gestreichelt. Er hatte genickt und sie noch einmal geküßt. Sie waren in der Nacht zusammengeblieben, und dann stand sie am Bahnsteig und winkte ihm nach, während er aus dem Abteilfenster lehnte und seine Mütze schwenkte. Es war seine erste Nacht mit einem Mädchen gewesen, und die Erinnerung saß tief in seiner Seele durch alle Jahre hindurch. Vor sechs Jahren … »Gib die Karten her!« schrie er plötzlich und riß sie Peter Fischer aus der Hand. »Ich muß was tun, sonst werd' ich verrückt!«
    Er knallte die Blätter auf den Tisch und gewann. Man ließ ihn gewinnen … stillschweigend, mit ein paar Blicken hatten sich die andern verständigt. Glücklich nahm Möller die Kopeken an sich.
    Um die Baracke heulte der Schneesturm.
    Worotilow saß am Radio und las die ›Prawda‹, als Dr. Schultheiß eintrat. Er hatte die Stiefel ausgezogen und den Ofen voll Kohlen und Holzscheite gestopft. Etwas schwitzend saß er nun in dem überheizten Zimmer und trank aus einer bauchigen Flasche süßen Krimwein. Er sah erstaunt und ein wenig ungläubig auf, als der deutsche Arzt eintrat und an der Tür stehenblieb.
    »Ist etwas mit Leutnant Markow?« fragte Worotilow besorgt und winkte Dr. Schultheiß näherzutreten.
    »Nein. Ich wollte Sie aus privaten Gründen sprechen, Major.«
    »Privat?« Der Russe lächelte mokant. In sein breites Gesicht trat ein zynischer Zug. »Ich habe nicht gewußt, daß ein Plenni ein so starkes Privatleben besitzt, daß er es mit seinem russischen Kommandanten besprechen muß.«
    »Es geht auch um Ihr Leben, Major.«
    »Das klingt geheimnisvoll wie eine Drohung.«
    Dr. Schultheiß wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Hitze machte ihn schlaff und ließ sein Herz wie wahnwitzig schlagen.
    »Es ist eine sehr ernste Angelegenheit. Es ist wegen Fräulein Salja.«
    »Janina?« Major Worotilow zog mit den bestrumpften Beinen einen Stuhl heran und wies auf ihn. »Setzen Sie sich, Dr. Schultheiß.« Er sah in sein Weinglas und vermied es, den Arzt anzusehen. »Sie haben schlechte Nachrichten?«
    »Fräulein Salja befolgt den Rat der Ärzte nicht. Wir können für keine Gesundung oder auch nur Besserung garantieren, wenn sie weiterhin das tut, was wir streng verbieten: Aufstehen, Herumgehen in dünnen Kleidern, Aufregungen, kein Einnehmen der Medizin …«
    »Ich werde noch heute mit ihr darüber sprechen«, sagte Major Worotilow.
    Dr. Schultheiß schüttelte den Kopf. »Es wird nichts helfen. Ich habe es auch versucht, mit allen Argumenten. Sie leidet unter einem Komplex.«
    »Wieso?«
    »Sie ist eifersüchtig.« Dr. Schultheiß fühlte, wie es in ihm kalt wurde. Jetzt ist es gesagt. Jetzt muß er den Sachverhalt erklären, und die tödliche Feindschaft mußte zwischen ihnen beiden ausbrechen. Dr. Schultheiß war sich klar darüber, daß er der Unterlegene sein würde, er, der entrechtete Plenni, angewiesen auf das Wohlwollen seiner Bewacher und nur getragen von dem schnell verschwindenden Lächeln asiatischer Unergründlichkeit.
    »Eifersüchtig?« fragte der Russe gedehnt. »Auf wen denn eifersüchtig?«
    »Auf die neue Assistentin Terufina Tschurilowa.«
    »Ich kenne sie ja kaum! Wie kann Janina auf sie eifersüchtig sein?«
    »Weil ich oft in ihrer Nähe bin, Major.«
    Worotilow senkte den Blick. Er umklammerte das Weinglas, und Dr. Schultheiß dachte, er würde es zerbrechen. Die Knöchel an den Fingern waren weiß.
    »So ist das?« sagte Worotilow leise. Seine Stimme war rauh und brüchig.
    »Ja, so ist das, Major.«
    »Weiß es Dr. Böhler?«
    »Nein.«
    »Dr. Kresin?«
    »Nein. Es weiß keiner außer Ihnen, Janina und mir.«
    »Und warum sagen Sie mir das?« Worotilow goß sich Wein ein. Seine Hand zitterte. »Ich kann Sie zertreten wie ein Insekt. Ich kann mich an Ihnen rächen, so fürchterlich, daß Ihr Tod schlimmer wäre als der eines Gefolterten! Wir Russen …«
    »Ich weiß es, Major, und ich gebe mich ganz in Ihre Hand.«
    »Sie wollen sterben?«
    »Nein, durchaus nicht. Aber mir geht die Gesundheit Janinas über mein eigenes Leben. Sie muß gesund werden – dafür ist kein Opfer zu groß!«
    Worotilow blickte auf. In seinen Augen lag die Kälte Sibiriens.

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