Der Arzt von Stalingrad
»So lieben Sie Janina?«
»Ja.«
»Und Sie wagen es, mir das zu sagen!« Er sprang auf und lief in Socken erregt im Zimmer auf und ab. »Ich sollte Sie nackt in den Schneesturm jagen und erfrieren lassen. Ich sollte Sie einfach niederschießen!« Er sah auf den Haken, wo sein Koppel mit der langen Pistole hing. »Ich könnte sagen, daß Sie mich angreifen wollten.«
»Das könnten Sie.« Dr. Schultheiß nickte. »Aber Janina wird Sie nicht decken! Sie würde aussagen …«
»Ich würde sie nach Ihnen erschießen! Eine Russin, die mit einem deutschen Plenni …« Worotilow stockte, eine hektische Röte überzog sein Gesicht. »Wären Sie ein Russe, so würde ich mit Ihnen um Janina kämpfen. Aber Sie sind ein Deutscher – und Sie haben nicht nur mich, sondern meine ganze Nation beleidigt! Ich werde sie Moskau melden!«
»Tun Sie es, Major. Aber wichtiger als ich ist Janina. Sie muß geheilt werden! Es geht um ihr Leben. Sie hat wieder Blutauswurf – Wir dürfen sie nicht erregen.«
»Erregen tun Sie sie! Liebe macht erregt!«
»Unsere Liebe ist sanft, Major. Es genügt uns, wenn wir uns sehen, wenn wir unsere Hände halten, wenn wir zusammen sprechen können – und in unseren Augen allein alle Sehnsucht sammeln und verglühen …«
»Der deutsche Romantiker!« Worotilow lachte grell und gequält. »Und das gefällt dem Täubchen. Von der Steppenfüchsin zum Domspätzchen!« Er blieb vor Dr. Schultheiß stehen und starrte ihn an. »Ich möchte Ihnen die Fresse zerschlagen!«
»Ihre Leidenschaft, Major, beschleunigt den Verfall Janinas! Sie ist ein zerbrechliches Geschöpf – wie chinesisches Porzellan, hauchzart und unter den Händen zerbrechend, wenn diese Hände zu grob sind.«
»Und Sie haben weichere, nicht wahr? Sie können sie streicheln, ohne daß sie blaue Flecke bekommt. Sie können sie küssen, ohne daß ihre Lippen bluten! Gehen Sie mir weg mit Ihrer deutschen Seele!« brüllte er plötzlich. »Warum leben Sie noch? Warum sind Sie im russischen Winter nicht erfroren? Warum nicht verhungert? Waren wir zu menschlich mit Ihnen? Gibt es wirklich zwanzig Millionen Deutsche zu viel auf der Welt? Sind Sie einer der Überzähligen? Ich möchte Sie zertreten!«
»Warum tun Sie es nicht?«
Major Worotilow wandte sich ab und rannte wieder durchs Zimmer. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verkrampft und gab sich Mühe, Dr. Schultheiß nicht mehr anzusehen.
»Was soll mit Janina geschehen?« fragte er. »Soll sie weg aus dem Lager?«
»Ja.«
»Und wohin?«
»In ein Sanatorium auf der Krim.«
»Und wer soll das bezahlen?«
»Ihr so fortschrittlicher, arbeiterliebender Staat! Das Paradies der Werktätigen!«
Worotilow blieb mit einem Ruck stehen. Sein Rücken war dem deutschen Arzt zugewandt. »Warum sagen Sie das?«
»Weil es die Wahrheit ist.«
»Rußland hat Sie über vier Jahre ernährt! Sie können sich nicht beschweren!«
»Und Sie, Major?«
»Ich bin Soldat dieses Staates! Ich bin stolz auf mein Vaterland, mein Rußland!«
Dr. Schultheiß klinkte die Tür auf. »Dann lassen Sie Janina stolz sterben …«
Worotilow fuhr herum. »Wohin wollen Sie?!« brüllte er dröhnend.
»Hinüber ins Lazarett. Ich will versuchen, mit einem Pneumothorax die Lunge Janinas zu retten! Jetzt haben wir endlich das technische Material! Aber ein Pneu allein nützt nichts. Sie muß weg von hier, von Ihnen – und mir …«
»Oder Sie müssen weg!«
»Das wäre das kleinere Übel und würde den Verfall nur beschleunigen. Auf jeden Fall liegt die Wahl bei Ihnen, Major.«
»Bleiben Sie!« Worotilow ging an Dr. Schultheiß vorbei, schloß hinter ihm die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Er trat ans Fenster und zog die Übergardinen zu. Dann erst wandte er sich um. Schultheiß' Herz hämmerte zum Zerspringen.
»Geben Sie mir Antwort«, sagte Worotilow hart. »Würde Janina gesund werden, wenn Sie mit ihr …«
»Ich glaube ja.«
»Und warum tun Sie es nicht?!«
»Weil ich noch das Ehrgefühl besitze, einem Offizier – und wenn es der Gegner ist – die Braut nicht fortzunehmen. Ich habe mich bisher gegen diese Liebe gestemmt, aus Rücksicht auf Sie, Major. Aber jetzt ist ein Stadium erreicht, wo ich nicht länger schweigen darf. Ich beginne einzusehen, daß es Dummheit war, auf Sie Rücksicht zu nehmen, denn Sie würden Janina opfern, um weiterhin ihre Liebe zu erpressen. Das kann ich nicht verhindern, ich bin nur ein Plenni … So bleibt mir nichts, als Ihnen alles zu sagen und
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