Der Arzt von Stalingrad
Unterhaltungsseite auf. »Hier, lest lieber die Geschichten, und laßt die Politik beiseite! Man fragt uns doch nicht, ob sie es richtig machen oder nicht. Wir haben für die da oben nur die Knochen hinhalten dürfen und brummen jetzt in Rußland, damit sie wieder ihre politische Idee an den Mann bringen können. Und wer am lautesten schreit, der gewinnt die Tour und wird Minister und Staatschef! Ist doch die alte Kugel, die rollt, Jungs. Warum sich drüber aufregen? Erst in der Heimat sein, dann werden wir schon mitmischen!«
»Wenn man dich hört …« Karl Georg lachte. »Der waschechte Kommunist!«
Emil Pelz, der Sanitäter, kam in die Baracke.
»Im Lazarett ist schwerer Stunk«, sagte er ungerührt. »Seit die Tschurilowa da ist, kriegt die Salja Anfälle. Wie wird das erst, wenn nächste Woche die Kasalinsskaja zurückkommt? Außerdem heißt es, daß wir aus den Lagern Krassnopol und Stalino Krankenschwestern bekommen sollen …«
»Deutsche?« schrie Peter Fischer.
»Klar! Deutsche Schwestern!«
Karl Georg schnalzte mit der Zunge. »Karbolmäuschen! Das wär'n Ding! Dann melde ich mich krank … Ischias im Oberschenkel.« Er grinste breit.
»Alte Sau!« Emil Pelz setzte sich an den Tisch. Er schob die Zeitung weg und kratzte sich den Kopf. »Und das Neueste – wir bekommen eine Lagerbibliothek und können eine Fußballmannschaft aufstellen! Habe ich alles von Dr. Kresin.«
»Dann war er besoffen!«
»Aber nein. Das ist der neue Kurs aus Moskau. Wie sagt Kresin? Kulturnaja shisnj!«
»Ein Pfund Brot wäre mir lieber! Was habe ich davon, ob Kleist ein Kommunist war oder nicht?« Sauerbrunn räkelte sich. Kleist war sein Lieblingsthema geworden. Er brachte es an, wo er nur konnte. Emil Pelz sah ihn groß an.
»Welcher Kleist?«
»Der Dichter! Der sich damals erschossen hat! Er hat 'n paar Theaterstücke geschrieben und irgend so 'n Ding über den Kohl und die Hasen …«
»Und der war Kommunist?« fragte Emil Pelz.
»Nee. Aber er soll's werden …«
Karl Georg winkte ab. »Ihr seid alle Idioten. Aber das ist gut so, sonst gäb's keine Intelligenz. Bleiben wir beim Fußball, da versteht ihr was von! Wenn das wirklich wahr ist, Kinder, dann können wir im Frühjahr Fußball spielen!«
»Mit einem Liter Kohlsuppe im Bauch!« Peter Fischer drehte sich eine Zigarette aus Kippentabak und Zeitungspapier. Er riß dazu respektlos eine Ecke der ›Täglichen Rundschau‹ ab. »Wenn die sich mit solchen Dingen befassen, oben in Moskau – Jungs, dann sieht es faul aus mit einer schnellen Rückkehr!«
Diese Gedankenverbindung schlug ein … es wurde still am Tisch. Man sah sich betreten an und merkte, daß Peter Fischer recht hatte. Man baut keine Fußballplätze und richtet keine Bibliotheken ein, man baut keine Lazarette aus und verlegt Krankenschwestern hin und her, wenn man die Absicht hat, die Gefangenen in absehbarer Zeit zu entlassen.
Karl Georg sprach aus, was alle dachten. »Ich glaube, die brüten da wieder eine hundsgemeine Schweinerei aus …«
Peter Fischer biß die Lippen aufeinander. »Verflucht und zugenäht«, murmelte er.
Sie dachten an Julius Kerner, der sich nackt in den Schnee gelegt hatte, um zu erfrieren.
Es war, als krieche die russische Winternacht durch die Ritzen der Baracke. Die kalte, erbarmungslose Nacht …
»Jetzt sind wir schon vier Jahre im Lager – und jetzt wollen wir uns unterkriegen lassen?« Emil Pelz warf den ›Aufbau‹ auf ein leeres Bett und schob die gezeichneten Skatkarten auf die Tischplatte. »Los! Du gibst, Hans! Und wer jetzt noch was von Politik oder so 'n Quatsch redet, kriegt eins in die Fresse!« Er legte zehn Kopekenstücke auf den Tisch und sah sich um. »Spielen wir um ein Zehntel«, meinte er dann. »Abwechselnd je drei eine Runde!«
Hans Sauerbrunn mischte, er tat es mechanisch, wie schlafend.
Dann hob Emil Pelz ab, und die Karten flogen über den Tisch. Peter Fischer zog an seiner Kippenzigarette und spuckte die Tabakfasern hinter sich auf die Erde. »Schmeckt wie getrockneter Mist«, schimpfte er.
»Aber es qualmt«, sagte Karl Georg.
Ein wenig bedrückt spielten sie die erste Partie. Einen Grand, den Sauerbrunn hatte. Er gewann ihn knapp und strich die Kopeken zu sich hin. Karl Eberhard Möller saß am Bettpfosten und hatte die Augen geschlossen. Er dachte an seine Mutter, die ihm eine Karte geschrieben hatte, eine jener Antwortkarten, die an den Mitteilungen der Kriegsgefangenen zur Rückantwort hängen. Auch seine jüngere Schwester
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