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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kannst.«
    »Durch den Mund ist sicherer!« sagte Janina giftig. Sie faßte die Waffe nicht an.
    »Gut. Auch durch den Mund. Aber vergiß nicht, vorher noch einmal deinen Jens zu küssen … hinterher wird es unästhetisch!«
    Er verließ das Zimmer. Starr saß Janina im Bett.
    »Bestie!« sagte sie laut.
    Dann warf sie die Pistole in die Ecke.
    Dr. Kresin hatte nie darüber gesprochen, wie er auch jetzt mit Dr. Böhler nicht über Sellnow sprach, der nach seiner Ansicht längst nicht mehr unter den Lebenden war.
    So wurde es Dezember. Das Weihnachtsfest stand bevor … in der Stolowaja probten jetzt Orchester, Chor, Solisten. Die Kulissen waren gemalt, die Beleuchtung montiert, der Regisseur schimpfte mit den Darstellern, der Dirigent schnauzte mit den Musikern – einmal warf Peter Fischer sogar seine Trompete hin und schrie sein berühmtes: »Leckt mich am Arsch! Wenn ich auf der Trompete furzen soll, dann soll mir das einer vormachen!« Es war vollendetes Theater mit Krach und Proben, mit Haareraufen und darstellerischen Meisterleistungen. Ab und zu erschien Leutnant Markow in der Stolowaja und brüllte: »Stillgestanden!« Dann fuhr alles empor, es wurde Ruhe, man stand stramm, Markow ging von Mann zu Mann, besah sich die Kulissen, spuckte auf die Partitur des Dirigenten und verließ den Saal.
    »Daß der noch lebt«, sagte Hans Sauerbrunn. »Der müßte vor Haß schon längst geplatzt sein.«
    Karl Georg winkte ab und schraubte an seiner Trommel herum. »Der ist sehr friedlich geworden«, meinte er. »Früher hätte er uns die Instrumente zertreten. Heute spuckt er nur dem Dirigenten aufs Notenblatt. Das ist ein gutes Zeichen …«
    Vier Tage vor Weihnachten … Die Arbeitskommandos hatten aus den Wäldern schon Tannen geholt, was Worotilow übersah, denn es lagen von der Division noch keine Bestimmungen vor, ob Weihnachten mit Tannenbäumen gefeiert werden durfte oder nicht. Gottesdienste waren seit einiger Zeit wieder erlaubt, und der kleine, schmalbrüstige, verhungerte Pastor schwankte von Block zu Block und hielt seine Bibelstunden und sonntags in der Stolowaja vor einem Kistenaltar, mit einem Sack als Altardecke und einem rührend roh gezimmerten Kruzifix seinen Gottesdienst. Er wußte nicht, daß ein Kunststudent aus Dresden seit Monaten an den Abenden an einem großen Kruzifix schnitzte, dessen Holz man im Außenlager 81 gesucht hatte.
    An diesem vierten Tag vor Weihnachten, als man die Kulissen wieder aufbaute und die Generalprobe steigen sollte, als die letzte Kostümprobe mit Orchester und Beleuchtung unter Krach endete und Peter Fischer laut »Scheiße!« schrie – an diesem Tag kam eine Nachricht in das Lager, die bei der Kasalinsskaja einen Schreikrampf auslöste.
    Ein russischer Fahrer, der Verpflegung brachte, hatte Nachricht von Dr. von Sellnow.
    Er war nicht tot, wie Dr. Kresin fest annahm, er war nicht einmal in die Sümpfe von Kasymsskoje transportiert worden, sondern er lebte in einem kleinen, bisher unbekannten Schweigelager bei Nishnij Balykleij, nördlich von Stalingrad, an der Wolga – dort, wo sich der breite Wasserlauf teilte und viele Sandbänke inmitten des russischsten aller Flüsse liegen. In diesem Lager mit der geheimnisvollen Nummer 53/4 lebte er in einer kleinen Baracke, aß gekochte Kartoffelschalen und mußte acht Stunden lang das Eis der Wolga für die Fischer aufhacken, die durch die Eislöcher ihre schmalen Netze zogen.
    Die Kasalinsskaja schrie und lachte, weinte und tanzte in einem. Sie war völlig aufgelöst und küßte das Bulldoggengesicht Dr. Kresins, fiel Dr. Böhler um den Hals und schloß sich dann in ihrem Zimmer ein, wo man sie laut schluchzen hörte.
    Worotilow war zu Dr. Böhler gekommen und hatte sich auf die Kante des Tisches gesetzt. Sein Gesicht war hell und zufrieden.
    »Ich kenne Nishnij Balykleij nicht, aber es kann nicht schlimmer sein als Kasymsskoje oder Workuta. Auf jeden Fall ist er in der Nähe. Ich werde versuchen, in Stalingrad mit dem General zu sprechen. Vielleicht können wir ihn einmal besuchen.«
    »Man weiß noch nicht, daß Wadislav Kuwakino auf einem Auge blind bleiben wird. Kuwakino weiß es selbst noch nicht … er trägt noch den Verband um den Kopf. Bisher hat keiner gewagt, es ihm zu sagen. Wenn er es erfährt, wird Sellnow erledigt sein. Darüber mache ich mir gar keine Illusionen.«
    Dr. Böhler sah ergriffen zu Boden. »Es ist furchtbar, daß er es tat, um mich zu retten. Sie hatten mich angezeigt, Major.«
    »Ich bin Russe!«

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