Der Arzt von Stalingrad
ab und zu Janina Salja.
Seitdem Vorsatz, Dr. Schultheiß zu erschießen, war mit ihr eine große Wandlung vorgegangen. Sie war ruhiger geworden, gefaßter. Dr. Kresin hatte nicht darüber gesprochen, was er an diesem Vormittag getan hatte, als er in das Zimmer trat und die Janina vor sich sah, den Zeigefinger am Drücker. Er hatte nur schnell die Tür geschlossen und die plötzlich Zusammensinkende aufgefangen. Dann hatte er sie erst einmal geohrfeigt, regelrecht geohrfeigt, wie ein Vater sein Kind züchtigt, wenn er es auf einer schlimmen Tat ertappt. Janina hatte es stumm ertragen und Dr. Kresin nur aus großen Augen flehend angesehen. Die Pistole lag auf der Erde mitten im Zimmer. Der Lauf war durchgeladen, der Sicherungsflügel weggeklappt.
»Ich müßte dich totschlagen«, hatte Dr. Kresin nach den Ohrfeigen gesagt. »Du unvernünftiges, geiles Luder!« Dann hatte er sich in seiner alten Manier die Haare gerauft und gestöhnt. »Die Kasalinsskaja ist nymphoman, jetzt geht es bei der Salja auch damit los! Mein Gott – gibt es denn keine anderen Männer als diese Deutschen? Da fängt man diese Burschen, sperrt sie aus Strafe, weil sie Mütterchen Rußland verwüsteten, ein … und was geschieht? Ihre bloße Anwesenheit macht die russischen Weiber zu Huren!«
Janina lag mit geschlossenen Augen in den Kissen. Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Jetzt heult sie auch noch!« brummte Dr. Kresin.
»Sie sind ein Schwein, Doktor! Ich liebe Jens.«
»Das ist im Endeffekt doch immer gleich! Es geht euch doch nur darum …«
»Waren Sie nie jung, Doktor?« schluchzte sie.
»Jung, ja! Aber wir waren anders! Wir lebten damals doch unter Väterchen Zar und nannten unsere Eltern Sie! Wenn wir ein Mädchen küßten, waren wir verlobt … verflucht noch mal … die Leichtigkeit, mit der ihr liebt, die Selbstverständlichkeit, mit der ihr euch auf den Rücken legt und den Männern winkt, die haben wir bei Gott nie gekannt! Wir hatten eine Ehre … und wenn wir liebten, dann war es bitter ernst, und wir rückten mit Blumen bei den Eltern an! Das andere, das Abladen der jungen Kraft …«, Kresin lachte auf, »dafür gab es in St. Petersburg genug Mädchen, die für fünf Rubel …«
Janina wandte sich ab. »Sie sind schrecklich … Bitte, gehen Sie!«
»Das werde ich nicht. Ich werde dir Moralpauken halten. Die Ohrfeigen waren nur die Einleitung! Auf Dr. Schultheiß schießen! So ein Blödsinn! Und warum? Warum, du Idiotin?«
»Er hat die deutsche Schwester umarmt und gestreichelt.«
»Er hat … er hat … Bist du mit ihm verheiratet?!«
»Vor Gott – ja.«
Dr. Kresin blieb der Mund offen … verblüfft sah er Janina an. Sie lächelte.
»Was heißt das?« brummte Kresin. »Er hat bei dir geschlafen, was?«
»Ja. Er gehört mir, mir ganz allein! Lippe an Lippe haben wir gelegen und Seite an Seite. Wir haben unseren Atem getrunken und waren wie ein Feuer, das schlackenlos verbrennt.«
»So was«, stöhnte Dr. Kresin. »Wie eine Siebzehnjährige. Eine Nacht ist doch kein Versprechen fürs Leben!«
»Bei uns doch! Bei mir doch!« schrie Janina. »Mit sechzehn hat man mich auf der Komsomolzenschule vergewaltigt … damals haßte ich alle Männer. Worotilow zwang mich in sein Bett, weil er stark war und keine Widerrede duldete. Er zerbrach mich jede Nacht … Aber Jens …« Sie legte sich zurück und sah an die Decke – Glück überzog ihre blassen Züge. »Jens war wie der Frühlingswind, der über die Weizenfelder streicht, der die Wasser kräuselt, der die Bäume rauschen läßt, der die Blumen aus der Erde lockt …«
Dr. Kresin sah Janina mit schiefem Kopf an. Die Unmöglichkeit, mit seinem robusten Sinn dem schwärmerischen Glück Janinas zu folgen, ließ ihn knurren. Er stand von dem Bett auf und nahm die Pistole an sich, die auf dem Boden lag, fachmännisch musterte er sie.
»Amerikanisches Modell. Woher?«
»Ausrüstung als Partisanin! Wir bekamen sie, als die Deutschen Stalingrad genommen hatten.«
»Und so lange trägst du sie mit dir herum?«
»Ja.« Janinas Gesicht verfiel wieder. Es war, als ob jede seelische Regung sich in ihrem Antlitz spiegelte. »Ich wollte mich mit ihr erschießen, wenn ich unheilbar lungenkrank sein würde.«
Dr. Kresin sah die Pistole noch einmal an. Er legte den Sicherungsflügel herum, nachdem er die Waffe entladen hatte. »Hier«, sagte er, indem er ihr die Pistole zuwarf. »Nimm sie wieder. Ich werde dir sagen, wann du sie an die schöne Schläfe setzen
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