Der Assistent der Sterne
empfand dasselbe Unbehagen, mit dem er sich in einem Bus auf einen Platz setzte, der noch die Wärme eines anderen abstrahlte. Er legte die Brille neben sich auf den Boden.
Lulambo schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Sie müssen die Brille während der ganzen Befragung in der Hand halten.«
Das kommt nicht in Frage, dachte Jensen. Er fand, dass es jetzt genug war.
»Und warum soll ich das tun?«
»Er ist ein Erdgeist.« Lulambo bückte sich, hob die Brille auf und drückte sie Jensen entschieden in die Hand. Lulambos schwitzte stark, sein Gesicht glitzerte im Kerzenlicht. »Er ist wie ein Bauer, der sein Dorf nie verlassen hat. Mich kennt er, aber Sie kennt er nicht. Und was er nicht kennt, macht ihm Angst. Und wenn er sich zu sehr fürchtet, wird er wütend. Er hat genauso viel Verstand wie das Stück Holz, in dem er steckt. Aber deswegen benutze ich ihn ja. Er sagt den Leuten, die zu mir kommen, die Wahrheit. Aber nur, wenn ich ihn überliste. Wenn Sie meine Brille in der Hand halten, merkt er nicht, dass Sie jemand anders sind als ich. Er hält uns beide dann für dieselbe Person.«
»Und Ohren hat er keine?«, fragte Jensen. Er blickte hinüber zu dem mit einem Tuch verhüllten Gegenstand in der Ecke hinter dem Fernseher.
»Das ist eine interessante Frage.« Lulambo schloss die Augen. »Hat er Ohren? Darüber habe ich noch nie nachgedacht …«
»Tun Sie es bitte später.«
»Ja. Ich werde später darüber nachdenken. Jetzt hole ich ihn.«
Lulambo hob den Gegenstand aus der Ecke und stellte ihn ins Dreieck der Kerzen, wobei er darauf achtete, dass das Tuch, mit dem der Fetisch abgedeckt war, nicht von den Flammen erfasst wurde. Auf dem Tuch war jetzt deutlich der Stern zu erkennen, der Jensen schon bei seinem ersten Besuch aufgefallen war.
Eine Landesfahne, dachte er. Wahrscheinlich die von Ghana. Der Fetisch schien ein Patriot zu sein.
Nun geschah etwas Merkwürdiges.
Lulambo zog die Fahne mit einem Ruck vom Fetisch weg. Eine der Federn, die an dem Holzpflock klebten, löste sich und schwebte langsam auf die Kerzen nieder. Es war absehbar, dass die Feder, die vermutlich von einem Huhn stammte, in einer Kerzenflamme verbrennen würde. Aus dem sonderbaren Gefühl heraus, dass dies unter keinen Umständen geschehen durfte, griff Jensen die Feder aus der Luft. Es war keine willentliche Entscheidung gewesen, etwas hatte ihn dazu getrieben. Er starrte auf die Feder in seiner Hand und schüttelte sie dann weg.
»Das ist gut«, sagte Lulambo leise.
»Was? Was ist gut?«
»Was sehen Sie? Was steht vor Ihnen?«
Jensen schaute es an. Es war ein längliches Stück Holz, unbearbeitet, gestaltlos, übersät mit Hühnerfedern. Das Holz war nahezu schwarz von der Hühnerblutkruste, die es wie eine Rinde umgab. Der Fetisch stank. Aber es war ein eigenartig aufwühlender Gestank, der gleichermaßen Ekel wie Erregung erzeugte, eine Erregung des Jägers. Es war der Geruch eines großen Tiers, eines Tigers, eines Bären. Und so kam es, dass Jensen vor diesem Kaminscheit widerwillig Respekt empfand. Respekt an der Grenze zur Furcht. Er war erschüttert darüber, wie einfach es noch immer war, ihn durch mystisches Brimborium zu beeindrucken. Dieses gefederte Kaminscheit bezog seine Macht aus Jensens Kindheit, aus den Erinnerungen an brokatbestickte, muffige Kissen, auf denen der Fingerknochen eines Heiligen lag, während in der Vitrine des Reliquienschreins sich der blutende Herr Jesus Christus spiegelte, der von nur drei Nägeln am Kreuz gehalten wurde. Die Religion war die Muttersprache der Unvernunft. Selbst wenn man, wie Jensen, die Sprache seit fast vierzig Jahren nicht mehr gesprochen hatte, beherrschte man sie eben trotzdem noch. Holz, Blut, ein paar Federn, und schon begann man wieder in dieser Sprache zu denken.
»Was sehen Sie?«, fragte Lulambo erneut.
»Einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz«, sagte Jensen. »Ist Ihr Fetisch jetzt bereit für meine Fragen?«
»Jeder sieht etwas anderes.« Lulambo kniete sich vor dem Fetisch hin. »Sie können ihn jetzt fragen. Er wird Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen. Die Feder war ein sehr gutes Zeichen.«
»Woher wussten Sie …«, sagte Jensen, mitten im Satz wurde er von Lulambo durch ein Handzeichen unterbrochen. »Ich habe etwas vergessen.« Lulambo zog unter seinem Bett einen weiteren Lederbeutel hervor. Er schnürte ihn auf und bestreute den Fetisch mit Gewürzen. Waren es Gewürze?
»Was ist das?«, fragte Jensen.
»Blumenerde. Er riecht
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