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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Zweck mehr«, sagte er. »Er wird nicht mehr mit Ihnen reden. Er hat alles gesagt, was er weiß. Sie müssen sich nur erinnern. Er ist sicher, dass Sie es wissen. Sie waren in einem Haus, das nicht Ihnen gehört. Sie haben dort etwas gesehen. Das ist alles.«
    Mit der freien Hand griff Lulambo nach der Fahne, er warf sie über den Fetisch. Er versuchte, die Kerzen auszublasen, und als es ihm nicht gelang, zerdrückte er die Flammen mit den Fingern.
    In der Dunkelheit hörte Jensen die Muschelketten rasseln. Er merkte, dass er noch immer Lulambos Brille in der Hand hielt.
    In einem Haus, das nicht mir gehört, dachte er. Er erkannte den Zusammenhang sofort, er sträubte sich nur, ihn zu akzeptieren. Er war heute Morgen in Jorn Lachaerts Haus eingestiegen und hatte auf dem Küchentisch die Landkarte entdeckt. Surinam. Und die Notizen. Albertdock. Zweimal durchgestrichen. Leopolddock. Ausrufezeichen. Er sah es deutlich vor sich.
    Das Wasser trägt den Namen des Königs.
    König Leopold von Belgien.
    Wasser, aber nicht das Meer.
    Der Hafen.
    Leopolddock.
    Jensen stand auf, seine Knochen protestierten, er musste ein ächzen unterdrücken. Er tastete nach dem Lichtschalter, und als es hell wurde, sah er Lulambo auf dem Bett sitzen, mit merkwürdig verrenktem Arm: Er hatte sich ineiner der Muschelketten verheddert. Im Zimmer roch es nach Wachs und Schweiß.
    »Es gibt hier nichts mehr«, sagte Lulambo wie ein Wirt, der den letzten Gast loswerden wollte. Er versuchte, sich aus der Kette zu befreien. »Sie sollten jetzt gehen.«
    »Was bedeutet das? Leopolddock? Ist sie dort? Wo? Auf einem Schiff?«
    »Sie können ihm vertrauen.« Lulambo lockerte mit der freien Hand die verwickelte Kette und konnte nun den Arm aus der Schlaufe ziehen. »Sie sollten dorthin gehen. Sie werden sie finden. Und dann«, sagte er, »werden Sie sie töten.« Er ließ die Kette durch seine Hände gleiten. »Sehen Sie? Es sind sehr viele Muscheln. Und diese hier, die, die ich zwischen meinen Fingern halte … Niemand hat sie gefragt, ob sie in dieser Kette mit den anderen Muscheln zusammen sein will. Aber es muss so sein. Eine einzelne Muschel kann keine Kette sein. Alle Muscheln gemeinsam bilden die Kette. Man kann nicht eine herauslösen, denn wenn man es tut, zerstört man die Kette. Sie werden die Frau finden. Sie werden mir glauben, dass ich ihr nichts angetan habe. Und dann werden Sie die Frau töten. Er weiß es.«
    Lulambo wies auf den Fetisch. »Alle Dinge hängen zusammen. Wie die Muscheln in dieser Kette. Dagegen kann man nichts tun. Sie haben das Mal am Hals. Das ist das Zeichen. Sie verdecken es mit Ihrem Schal. Auch das weiß er. Er weiß, dass wir alle in der Kette gefangen sind, Sie, Vera Lachaert, ich, alle Menschen. Er kennt die ganze Kette, und deshalb weiß er, was Sie als Nächstes tun werden. Für ihn gibt es nichts Neues. Es ist alles schon geschehen.«
    Lulambo klatschte in die Hände.
    »Vielleicht werde ich mir einen anderen Fetisch suchen«, sagte er. »Einen, der klüger ist. Der lügen kann.«

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    26
    A n einem Kiosk im Hauptbahnhof kaufte Jensen sich einen Stadtplan von Antwerpen. Es wurden auch Lesebrillen angeboten, für wenig Geld.
    »Sonst noch etwas?«, fragte die Verkäuferin. Aus dem Kragen ihres T-Shirts rankte sich eine Tätowierung an ihrem Hals hoch.
    »Vielleicht«, sagte Jensen. »Einen Moment.«
    Er warf einen Blick in den Stadtplan. Auf dem für ihn wichtigen Teil, der die Stadt in großem Maßstab zeigte, in der Mitte die Hafenanlage, konnte er mit Mühe gerade noch die fett gedruckten Namen der Innenstadtquartiere lesen, BERCHEM, BORGERHOUT, MERKSEM. Die Hafenanlage selbst war ein blau gefärbtes Labyrinth, in dem schwarze Buchstabenschiffchen schwammen. Jensen hielt die Karte ins Licht der über dem Zeitschriftenregal angebrachten Spotlampe, er streckte die Karte auf Armlänge von sich, er gab sich eine letzte Chance. Aber seine Augen, die ihm so lange treu gedient hatten, forderten ihr Gnadenbrot. Sie hatten geleistet, was sie zu leisten vermochten, jetzt lahmten sie. Es gab keinerlei Hoffnung, dass sie sich je wieder erholen würden. Die Zeit heilte keine Wunden mehr, sie riss sie. Alles, was in den nächsten Jahren verloren geht, dachte Jensen, wird für immer verloren sein. Im Gefühl, dass nun endgültig die Ära der Reduktion begonnen hatte, wandte er sich der Verkäuferin zu.
    »Und die da noch«, sagte er verschämt, als verlange er ein Herrenmagazin. Er zeigte auf eine der

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