Der Assistent der Sterne
dass du ihn sprechen willst. Wenn du ihm zuvorkommst und die Beichte ablegst, kommst du vielleicht um einen Haftbefehl herum. Du hast ja nichts zu befürchten, du warst es nicht. Du warst es doch nicht?«
»Nein.«
»Richtig. Du warst es nicht. Aber Verstreken ist jetzt überzeugt, dass dieser … dieser Kerl, dessen Namen ich mir nicht merken kann …
»De Reuse.«
»… er glaubt, dass er vielleicht doch unschuldig ist. Verstreken hat das mir gegenüber nur angedeutet, er war sehr reserviert. Er traut mir jetzt nicht mehr. Hannes, er wollte deine Akte! Das bedeutet, dass dieser De Reuse ausgepackt hat. Du hast mit seiner Freundin geschlafen. Und das weiß Verstreken jetzt. Und De Reuse hat ein Alibi. Aber du nicht, du hast keins. Verstehst du, was ich meine? Versetz dich mal in Verstrekens Lage. Was würdest du denken? Du würdest denken: Der Kandidat heißt Jensen. Wie willst du da rauskommen, Hannes? Wie? Ich sehe nur eine Möglichkeit: Du musst die Karten auf den Tisch legen. Sprich mit Verstreken, sag ihm alles, was du weißt. Du musst dich aus der Schusslinie bringen. Und du weißt doch, wenn man einenLauf wegschieben will, muss man direkt vor ihm stehen. Verstreken mag ein Arschloch sein, aber er wird dir glauben. Und dann ist er offen für neue Theorien. Er wird den Täter suchen, und er wird ihn finden, und dann bist du aus dem Schneider. Vielleicht lässt er ja deine Freundin aus dem Spiel, wer weiß. Wenn du ihn freundlich darum bittest …«
»Glaubst du das?«, fragte Jensen. »Dass er Annick aus dem Spiel lässt? Ich nicht.«
Stassen schwieg. Dann sagte er: »Ich auch nicht. Aber ich fürchte, du hast gar keine Wahl. Da ist nämlich noch etwas. Dein Arzt hat mich angerufen. Doktor Vanackere. Er sagte, sein Gewissen zwinge ihn dazu, Meldung zu erstatten. Er hat dich behandelt, und offenbar hast du eine Wunde am Hals. Du weißt doch, seine Tochter.«
»Was?«
»Seine Tochter. Sie ist vor ein paar Jahren vergewaltigt worden. Sie hat den Vergewaltiger gebissen, daran kann ich mich noch erinnern. Und offenbar hast du eine Bisswunde am Hals. Heilige Scheiße, Hannes. Ich musste seine Meldung protokollieren. Wenn ich das jetzt unterschlagen hätte, in dieser Situation …«
»Schon gut, Frans. Mach dir keine Sorgen. Gib mir einfach noch ein bisschen Zeit. Vielleicht klärt sich alles, schon in den nächsten Stunden. Und falls nicht, werde ich deinen Rat befolgen.«
»Du sprichst mit Verstreken.«
»Ja.«
»Das ist das Beste, glaub mir.«
»Nein. Das Beste ist es nicht.«
Der wehmütige Klang eines Schiffshorns war zu hören.
»Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte Jensen.
»Wo bist du eigentlich?«
»In Antwerpen.«
»Am Hafen? Das war doch ein Schiff, vorhin. Was treibst du dort?«
»Nicht, was du denkst.«
»Was denke ich denn?«
»Dass mir der Flughafen zu gefährlich ist und dass ich deshalb versuche, auf einem Schiff das Land zu verlassen.«
»Richtig. Das habe ich gedacht. Aber ich habe mich geirrt, nicht wahr?«
Was immer man vom Höhlensalamander halten mochte: Unterschätzen durfte man ihn nicht.
Nachdem Jensen an den Containern vorbeigefahren war, sah er im Leopolddock ein Schiff vor Anker liegen. Er löschte die Scheinwerfer und stieg aus. Vom Zaun aus betrachtete er seinen Fund. Es war ein Frachtschiff, dessen Ladefläche fast die gesamte Länge einnahm. Hinten am Heck erhob sich ein mehrstöckiger, gedrungener Aufbau. Die Ladefläche war leer. Hinter einem der Fenster zuoberst auf der Kommandobrücke brannte Licht, aber in den Mannschaftsräumen darunter schien sich niemand aufzuhalten, die Fenster waren alle dunkel. Die Matrosen waren vermutlich auf Landgang, die ersten würden bald zurückkehren, es war kurz vor Mitternacht.
Am Bug, über der Ankerkette, stand der Name des Schiffes, in weithin sichtbaren, weißen Buchstaben.
Gigantia 2.
Lulambo behielt in allem recht. Jensen war am richtigen Ort, hatte aber keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Falls Ilunga Likasi sich tatsächlich an Bord dieses Schiffes befand, würde es schwierig sein, sie zu finden. Für einen Einzelkämpfer, dachte Jensen, der das Schiff ohne Befugnisse betritt, klandestin, ohne die geringste Kenntnis der Schiffsarchitektur, war es sogar nahezu unmöglich.
Er ging am Zaun auf und ab, mit trockenem Mund, ein erstes Symptom der Angst. Er überlegte sich, Verstreken anzurufen und ihn zu bitten, ihm einfach zu vertrauen und das Schiff von einem Rollkommando durchsuchen zu lassen. Aber Verstreken
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