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Der Assistent der Sterne

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Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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hätte ohne einen Beweis dafür, dass Ilunga Likasi an Bord versteckt wurde, natürlich keinen Finger gerührt. Und du hast nichts in der Hand, dachte Jensen, nur die Aussage eines Wahrsagers, der dauernd recht behält. Ob Ilunga auf dem Schiff war, musste er selbst überprüfen, es gab hier nur ihn und die Gigantia 2. Es war ein redundanter Name, die Größe des Schiffes brauchte nicht betont zu werden. Es war Irrsinn, in feindlicher Absicht in einen solchen Koloss einzudringen, Jensen wusste ja noch nicht einmal, wo sich der Eingang befand. Vom Zaun aus konnte er keinen Landungssteg sehen, wahrscheinlich befand sich der auf der anderen Seite des Schiffes. Backbord links, Steuerbord rechts, stimmte das? Das war doch jetzt vollkommen unwichtig!
    Jensen schob die Hand unter den Kaschmirschal und kratzte sich; die Bisswunde juckte, aber darauf fiel er nicht mehr herein. Er hatte den Juckreiz schon einmal fälschlicherweise für ein Zeichen der Heilung gehalten.
    Hinter dem Zaun wartete das Schiff.
    Ein Floh wird gleich aufs Deck hüpfen, dachte Jensen. Er strich sich mit dem Handrücken über den Mund, eine Geste, die ihm fremd war. Er machte sich keine Vorwürfe, seine Angst war berechtigt: Paramaribo. Es stand in kleineren Buchstaben über dem Schiffsnamen. Heimathafen Paramaribo, Hauptstadt Surinams. Das fügte sich zum Bild einer Entführung, Menschenraub: Jorn Lachaert hatte seine Tochter auf dieses Schiff verschleppt, um sie außer Landes zu bringen.
    Gut möglich, dachte Jensen.
    Und wenn seine Vermutung zutraf, hatte Jorn die Mannschaft bestochen, zumindest den Kapitän. Jorn hatte an Bord Komplizen, die nicht zimperlich sein durften. Allein in dieses Schiff einzudringen war gefährlich, das stand fest. Und Jensen war allein, er hatte den Dienst quittiert, Gott sei Dank!, um den Preis, dass es jetzt anders war als früher. Die Zugehörigkeit zur Institution war des Polizisten zuverlässigster Schutz, nur sehr abgebrühte Verbrecher schossen auf Uniformen. Aber jetzt, dachte Jensen, gehst du nackt dort rein, noch dazu unbewaffnet.
    Er schaute am Zaun hoch, es würde fahrlässig einfach sein, ihn zu überklettern. Man musste es nur endlich tun, ohne Waffe und mit ungültiger Dienstmarke. Alles sprach dagegen. Angenommen, man gelangte überhaupt ins Innere des Schiffes: Dann würde man sich darin verirren. Jensen kannte sich mit Schiffen nicht aus, einmal Helsinki–Stockholm, das andere Mal eine Fähre von Bari nach Griechenland, das war alles an Erfahrung. Der Name des griechischen Hafens kam ihm nicht mehr in den Sinn. Petropolis? Das klang zu antik. Igoumenitsa! So hatte die Stadt geheißen. Igoumenitsa.
    Seine Stirn fühlte sich kalt an, es war der Schweiß, der in der frostigen Nachtluft zu gefrieren drohte. Die einzige Kunst, die Polizisten mit der Zeit wirklich beherrschten, war die Zähmung der eigenen Furcht. Ungezähmt lähmte sie einen, und dadurch geriet man in umso größere Gefahr. Gezähmt erhöhte sie die Chancen, einen Einsatz unverletzt zu überstehen. Sporadisch hatte Jensen es darin zur Meisterschaft gebracht.
    Und jetzt bibberst du hier, dachte er, wie ein Anfänger.
    In diesem Moment piepste sein Handy, ein glücklicher Zufall, ohne den er mit eingeschaltetem Mobiltelefon auf dem Schiff herumgeschlichen wäre; schlimmstenfalls hätte ihn genau dann ein Klingeln verraten, wenn er sich vor der Bordwache versteckte. Du bist aus der Übung, dachte er.
    Er warf einen Blick auf die Anzeige, es war eine Textnachricht: KAMIN FERTIG. RECHNUNG FOLGT. FREUND. GRüSSE, J. STIJNEN.
    Jensen fand es erstaunlich, dass ein Handwerker an einem Samstag um Mitternacht geschäftliche Nachrichten verschickte. Andererseits hätte Stijnen schon vor wie vielen Tagen fertig sein müssen? Jedenfalls schon lange.
    Das ist doch jetzt nicht das Thema!, dachte Jensen. Es nützte nichts, den Moment der Entscheidung hinauszuzögern. Hier war der Zaun, dort das Schiff.
    Ja oder nein?, dachte er; er antwortete sich selbst mit einem widerwilligen Murren, es bedeutete ja.
    Zuvor mussten allerdings noch einige Vorbereitungen getroffen werden. Die Brieftasche musste im Wagen deponiert werden, die persönlichen Gegenstände gehörten nicht ins Einsatzgepäck. Bei einem Einsatz trug man nur Dienstwaffe und Ausweis bei sich. Dienst, jetzt hatte das Wort plötzlich wieder einen süßen, beruhigenden Klang. Es hieß nicht Dunkelmänner, es hieß Tatverdächtige, und man sprach nicht von Malhommes, sondern von Mördern, daran ließ

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