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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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nicht erinnern, wann er zuletzt so unmäßig geschwitzt hatte.
    Er öffnete die erstbeste Tür, warme, nach Diesel riechende Luft schlug ihm entgegen, und die Tür quietschte, sie brachte eine Möwe zum Kreischen. Jensen stolperte über eine Schwelle, er fiel hin, er hatte das Gefühl, sich in einer Phase der Auflösung zu befinden. Seine Hände zitterten. Er erhob sich, schloss die Tür und horchte: Die Möwe kreischte draußen noch immer; er hätte das Tier erwürgt, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Eine Möwe fiel ihm inden Rücken, wie oft hatte er diese Arschlöcher nicht schon gefüttert!
    Reiß dich zusammen, dachte er. Ihm stellte sich die Frage, ob er eigentlich ein Feigling war. Nein, dachte er. Ein Feigling nicht, nur unflexibel. Diese Aktion war für ihn etwas Neues. Er war allein, ohne polizeiliche Befugnisse. Er war das nicht gewohnt. Als Polizist begab man sich in gefährliche Situationen stets zu zweit oder sogar zu zwölft, gedeckt durch das Einsatzkommando. Mit Wehmut dachte Jensen an diese Zeiten zurück. Zu zwölft, und er bewaffnet mit einer Glock, der zuverlässigsten Pistole der Welt, drei Ersatzmagazine. Ob es zu verantworten war, sein Leben aufs Spiel zu setzen, oder ob es fahrlässig war, hing allein von der Ausrüstung ab: Ohne entsprechende Ausrüstung war es fahrlässig.
    Und wenn es fahrlässig ist, dachte er, beginnt man eben zu schwitzen. Man hält eine Möwe für eine Verräterin, das ist vollkommen verständlich.
    Vor sich sah er einen Gang. Er kannte diese Art Gang von den Fährschiffen. Nach Igoumenitsa, dachte er. Ein Gang ohne Türen, schmal, Stahlwände, man musste dem hölzernen Handlauf folgen. Die Wände vibrierten, das ganze Schiff summte. Der Gang führte nach rechts, hier reihte sich nun Tür an Tür. Keine davon war beschriftet, es hätten Kajüten sein können, Lagerräume, die Küche, Toiletten, was willst du jetzt tun?, dachte er. An jede Tür klopfen? Der Mannschaftsturm war vier oder fünf Stockwerke hoch, und allein schon hier, im rechten Flügel des ersten Stocks, führten diese vielen namenlosen Türen Jensen die Sinnlosigkeit seiner Unternehmung vor Augen. Er schätzte die Anzahl der Türen auf der Gigantia 2 auf sechzig, siebzig, und hinter jeder davon hätte sich Ilunga Likasi befinden können, falls sie nicht irgendwo in den Frachträumen gefangen gehalten wurde. Wieder verlor er, zu Recht, dachte er, völlig zu Recht, allen Mut. Es war eine Nummer zu groß, er hatte das schon draußen so empfunden und jetzt fühlte er sich darin bestätigt. Aber andererseits hatte er doch einiges erreicht! Er war ins Schiff eingedrungen, unentdeckt, er war hier, es wäre falsch gewesen, jetzt aufzugeben, er musste die Schwierigkeiten nur akzeptieren und dann bewältigen.
    Marleen, dachte er.
    Du wirst Vater.
    Das Haus am Minnewater-Park.
    Darum geht es doch, dachte er.
    Er horchte an der ersten Tür. Er horchte an allen Türen. Hinter keiner war etwas anderes zu hören als das Rauschen seines eigenen Bluts.
    Er folgte dem Handlauf des Gangs, bis dieser sich hinter einer Ecke verzweigte. Nun wurde alles noch komplizierter. Welchen Gang sollte man wählen? Den, der geradeaus führte, oder jenen, der links abzweigte? In Labyrinthen, dachte Jensen, darf man nie links gehen. Er hatte das einmal gelesen. Sein Gefühl sagte ihm aber, dass es falsch war, geradeaus weiterzugehen. Er wählte den Gang links, und nach einer Weile kam er an einer Tür vorbei, der gegenüber sich ein Bullauge befand. Er drückte sein Ohr an die Tür, hörte nichts Verdächtiges und öffnete sie. Es war aber nur ein Schott. Vor Jensen erstreckte sich ein weiterer Gang, der sich von den anderen durch die schlechtere Beleuchtung unterschied. Es brannte hier nur eine defekte Lampe, sie flackerte um ihr Leben. Der Höhlensalamander flüsterte Jensen ein, dass er, da er diesen Gang nun einmal entdeckte hatte, ihn auch betreten sollte. In Wahrheit war es bedeutungslos, wozu er sich entschied. Es gab keinerlei Anhaltspunkte dafür, welche Entscheidung die richtigewar. Man konnte folglich auch nichts falsch machen, und so betrat Jensen eben diesen Gang, in dessen Halbdunkel er sich immerhin ein wenig geschützter fühlte. Allerdings stand eine der Türen offen. So dunkel war es wiederum nicht, dass Jensen von jemandem, der aus dieser offenen Tür trat, nicht gesehen worden wäre. Er überlegte sich, ob er umkehren sollte. In diesem Moment wurde die Tür von innen zugezogen.
    Der erste Kontakt.
    Mit

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