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Der Assistent der Sterne

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Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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schossen ziellos um sich. Um auszubrechen, dachte Jensen, muss man frei sein. Frei von Trauer, Hass, Schuldgefühlen, wie die Drogenhändler, die Zuhälter, Schlepper, die sich für Geschäftsleute hielten. Ein Ausbruch war für sie lediglich eine Transaktion, die Verschiebung einer Ware von hier nach dort; sie planten sorgfältig, sie kalkulierten die Risiken, sie ließen sich nicht von Gefühlen leiten. Ein freier Kopf war das Geheimnis jedes geglückten Ausbruchsversuchs. Aber den Kopf bekam man nur frei, indem man ihn mit Informationen fütterte, die nichts mit Annick und dem Kind zu tun hatten. Es durfte kein Platz mehr sein für Gedanken an Annick, der Kopf musste vollgestopft werden mit Daten, zum Beispiel über die Tür, die den Raum verschloss.
    Jensen untersuchte sie. Sie war aus Eisen, nicht besonders dick, er klopfte daran, es klang hohl. Die Klinke hatte manabmontiert, offenbar schon vor längerer Zeit, denn während des Streichens der Tür hatte man auch die Verschalung der Klinke weiß überpinselt. Jensen legte sein Ohr an die Tür, horchen, das konnte er doch am besten. Er spürte jetzt, dass das Schiff zitterte, aber das war nichts Neues. Die Schiffsturbinen erzeugten im Leerlauf den Strom für Licht und Heizung. Das Schiff schien nach wie vor im Leopolddock vor Anker zu liegen, es schien in Ruheposition zu brummen.
    Spekulation, dachte er.
    Ihm fehlte die Erfahrung, um in einem fensterlosen Raum wie diesem beurteilen zu können, ob ein Schiff ruhte oder sich bewegte.
    Er stellte sich in die Mitte des Raums und streckte die Arme aus wie ein Seiltänzer. Er hoffte, auf diese Weise vielleicht eine Schwankung wahrzunehmen, eine Abweichung von der Horizontalen. Nach einer Weile musste er tatsächlich die Balance wiederherstellen, indem er mit dem rechten Arm eine leichte Neigung nach links korrigierte. Seine nackten Füße auf dem Stahlboden wurden empfindlicher, vielleicht aber auch nur erfindungsreicher: Sie meldeten ihm jetzt Schräglagen, die er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Einen Moment lang war er überzeugt davon, dass das Schiff sich in Wahrheit schon auf hoher See befand. Andererseits hatte er noch niemals zuvor in seinem Leben so lange mit ausgestreckten Armen dagestanden. Er wusste einfach nicht, wie sich dieses seiltänzerische Stehen auf seinen Gleichgewichtssinn auswirkte. Dennoch war die Aktion ein Erfolg, denn seit zehn, vielleicht zwanzig Minuten hatte er nicht an Annick gedacht. Es war ein Fehler, sich dessen bewusst zu werden, es weckte nur die Verzweiflung wieder; er spürte, wie sie sich in seiner Magengegend sammelte, um mit geballter Kraft hochzusteigen und ihm denHals zuzuschnüren. Mit Tränen in den Augen hämmerte er mit den Fäusten gegen die Tür.
    »Polizei!«, brüllte er. »Machen Sie sofort die Tür auf!«
    Er schrie es mehrmals, aber das Schiff war taub für das lächerliche Geschrei eines Hochstaplers, dachte er.
    Der ungültige Dienstausweis.
    Meine Jacke, dachte er. Die Skijacke, mit Handy und ungültigem Dienstausweis. Er blickte sich um. Das Nachtlicht über der Tür war schwach, die Ränder des Raums lagen im Dunkeln, aber seine Jacke in der Warnfarbe Orange hätte er gesehen. Jensen schaute unter der Pritsche nach, nichts. Auch die Jacke hatten sie ihm also genommen, zusammen mit den Schuhen, den Socken.
    Und wenn schon, dachte er. Er kniete vor der Pritsche, der säuerliche Geruch seines Vomitums stieg ihm in die Nase. Vomitum, dachte er. To vomit, englisch für kotzen. Miguel. Dieser kleine Dreckskerl. Schöne, erwartungsvolle, dann ängstliche, dann freche Augen aus Bucaramanga, Kolumbien.
    Jensen setzte sich auf die Pritsche. Er konnte sich an das Gesicht nicht erinnern, es hatte kein Gesicht gegeben, nur zwei Schläge. Es waren aber nicht Miguels Fäuste gewesen, das wüsste ich, dachte er. Miguel hatte den Schläger nur herbeigerufen. Baxter, so hieß doch der Kapitän.
    Kapitän, Chef. Ich muss aufpassen, hatte Miguel gesagt.
    Und er hatte aufgepasst.
    No prison, Señor.
    Dieser Mistkerl, dachte Jensen, nicht ohne Respekt. Miguel kannte offenbar die Tugenden des Bambus. Beuge dich dem Sturm, ohne zu brechen. Das hatte er getan. Er hatte sich Jensens Dienstausweis und der vermuteten Waffe gebeugt, er hatte die Frau dem Feind ausgeliefert, nur um aber in dem Moment, in dem der Sturm abzog, sich wieder aufzurichten. Dass Ilunga Likasi die Flucht geglückt war, hielt Jensen für unwahrscheinlich. Miguel fürchtete den Zorn seines Kapitäns, er hatte bestimmt

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