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Der Assistent der Sterne

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Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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so gut kochen, jeder im Quartier wusste es. Die holten sich diese Kräutermischungen ab, und die Rezepte, die sie erfunden hat, und ich …« Ihm versagte die Stimme, er strich sich mit beiden Händen über das Gesicht, aber es blieben noch Tränenübrig; er fegte mit dem Ärmel seines Hemdes im Gesicht herum, ihm sollte keine einzige Träne entkommen.
    Nach einer Weile sagte er: »Und dann hat sie nur noch diese verdammten Kartoffeln gekocht. Jeden Tag. Sie konnte einfach nichts anderes mehr behalten, verstehst du? Ihr Magen. Und nach dem Magen stirbt das Herz. So ist das. Was hättest du an meiner Stelle getan? Hättest du einfach zugesehen, wie deine Frau langsam krepiert? Du vielleicht schon. Aber ich bin nicht du.« Jorn griff nach der Flasche. Während er trank, warf Jensen einen Blick durch das Bullauge. Auf der Horizontlinie zwischen dem Wintermeer und den Wolken störte ein Fremdkörper die Einsamkeit, ein anderes Schiff, unerreichbar.
    »Belgien«, sagte Jorn. »Das brachte mich auf die Idee. Ich habe nämlich genau zugehört. Dieser Dreckskerl, der ihr Angst gemacht hat, dieser beschissene Wahrsager. Er sagte, dass Vera sterben wird, hier in Belgien. Verstehst du? In Belgien. Dieser Mann mit dem Zeichen am Hals. Wie du. Du hast etwas am Hals. Das hab ich gleich gesehen, als ich dich vorhin rausgeholt hab. Als du bei uns warst, hast du einen Schal umgehabt. Aber jetzt nicht. Jetzt kann es jeder sehen. Sogar Annick würde es sehen.«
    »Lass Annick aus dem Spiel«, sagte Jensen.
    Jorn lachte höhnisch.
    »Du kommst her und machst mir Vorwürfe«, sagte er. »Du spielst dich hier als weiß Gott was auf! Und hast das Zeichen am Hals! Du solltest mal lieber hübsch ruhig sein. Sonst überleg ich mir noch was. Ich überleg mir vielleicht, ob Trees das gesehen hat. Ihr wart doch allein, bei uns, im Wohnzimmer. Hat sie’s gesehen?«, schrie er. Er versuchte, Jensen anzuspucken, aber der Speichel schaffte es nur bis auf sein eigenes Kinn. Er wischte ihn mit dem Handrücken weg. »Hast du’s ihr gezeigt? Dein beschissenes was immerdas ist? Deinen Leberscheißfleck! Oder was ist das? Was du da am Hals hast? Hast du Dreckskerl es Trees gezeigt? Dann würdest du jetzt nämlich gescheiter dein Maul halten. Dann ist sie wegen dir gestorben. Denk mal darüber nach. Wegen dir, nicht wegen mir. Dann bist du nämlich hier derjenige, der die Schuld hat.«
    Jorn spritzte Jensen aus der Flasche Gin ins Gesicht.
    »Das ist die Art, wie ich mit Leuten wie dir trinke«, sagte er.
    »Mach dir nichts vor, Jorn.« Jensen wickelte eine Gazerolle auf, um sich das Gesicht zu trocknen. »Ohne Absicht gibt es keine Schuld. Und es war nicht meine Absicht, deiner Frau zu schaden. Aber es war deine Absicht, deiner Tochter zu schaden. Du hast sie entführt. Um Trees zu helfen, aber das macht es nicht besser. Die Verantwortung liegt also allein bei dir. Du brauchst mir die Details auch nicht mehr zu erklären, das Stichwort Belgien genügt mir. Trees glaubte, dass eure Tochter in Belgien getötet wird. Gut, dann bringe ich sie eben aus Belgien weg. Das war deine Idee. Du hast deine Tochter auf dieses Schiff verschleppt. Du hast eine Entscheidung getroffen, Jorn. Gegen deine Tochter und für deine Frau. Und vor allem für dich selbst. Du hast gehofft, dass du alles wiedergutmachen kannst. Du wolltest die Erleichterung in den Augen deiner Frau sehen, wenn du ihr sagst: Es ist jetzt alles gut, Trees. Vera ist nicht mehr in Belgien. Ich habe sie in Sicherheit gebracht. Sie ist jetzt in Surinam, ihr wird nichts geschehen. So hast du dir das vorgestellt. Aber jetzt ist Trees tot, Jorn. Ich möchte dir gern sagen, dass mir das leidtut, aber ich kann es nicht. Nicht solange deine Tochter und ich auf diesem Schiff festgehalten werden. Siehst du nicht, dass das jetzt keinen Sinn mehr macht? Was nützt es dir noch, wenn du deine Tochter nach Südamerika verschleppst? Das bringt dir Trees nichtzurück. Du solltest zu Hause in Brügge sein und dich um ihr Begräbnis kümmern. Das hätte Trees sich gewünscht, Jorn. Lass sie doch jetzt nicht allein. Sprich mit Hendrik, mit deinem Freund. Sag ihm, dass …«
    »Wo sie hingehört!« Jorn setzte die Ginflasche mit Wucht auf den Tisch. »Wo sie verdammt noch mal hingehört! Aber du! Blabla! So klingt das in meinem Ohr, wenn du redest. Blabla. Bist du überhaupt noch bei Trost? Das will ich jetzt einmal von dir wissen. Hast du noch alle Schrauben im Schrank?«
    Tassen, dachte Jensen. Tassen.
    »In Wageningen.

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