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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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aufgehört, weil du leben wolltest. Aber jetzt ist Trees tot. Es kann dir egal sein, ob du auch stirbst. Vielleicht wäre das sogar gerecht. Denn genau genommen bist du an ihrem Tod schuld, Jorn. Ist es nicht so?«
    »Halt dein dreckiges Maul. Oder ich stopfe es dir.« Jorn sagte es ohne Kraft; es war keine Drohung, es war die Aufforderung an Jensen, weiterzusprechen, ihm, Jorn, die Wahrheit ins Gesicht zu sagen.
    »Vor zwei Jahren«, fuhr Jensen fort, »hast du deiner Tochter die Wahrheit gesagt. Dein Arzt hatte Leberzirrhose diagnostiziert, und du dachtest, dass du nicht mehr viel Zeit hast.« Was offenbar ein Irrtum war, dachte Jensen. »Du hast ihr gestanden, dass du ihr leiblicher Vater bist. Und damit hat alles begonnen. Vera hat es dir und Trees nicht verziehen, sie hat den Kontakt zu euch abgebrochen. Deine Frau hat darunter gelitten. Sie kam darüber nicht hinweg, sie wurde krank, sie bekam einen Infarkt. Vor zwei Jahren. Ihr erster Infarkt. Sie wurde wieder gesund, aber der Kummer blieb. Und dann kam diese Prophezeiung. Es war zu viel fürTrees. Sie hat es nicht verkraftet. Und du wusstest, einen dritten Infarkt wird sie nicht überleben. Jetzt musstest du etwas tun. Du musstest etwas unternehmen, um das Unglück abzuwenden. Aber es ist wie mit dem Rauchen, Jorn. Du hast es in erster Linie für dich getan. Du wolltest nicht schuldig sein am Tod deiner Frau. Korrigier mich, wenn ich etwas Falsches sage.«
    »Ich bin …« Jorn schüttelte den Kopf. Er trank aus der Ginflasche. »Ich bin ein Mensch. Verstehst du?« Er zupfte an seiner Krawatte. Die Zigarette, die er auf den Tisch gelegt hatte, brannte ein Loch ins Furnier. »Ich habe wie ein Mensch gehandelt. Aus Liebe. Ein Mensch tut solche Dinge aus Liebe. Ich habe Trees geliebt. Das kannst du Dreckskerl gar nicht wissen. Du bist nur ein Idiot. Warum bist du hier? Weil du ein Idiot bist. Darf ich jetzt auch einmal etwas sagen? Willst du jetzt einmal hören, wie es wirklich war? Es war so, wie du es sagst. Das muss man dir lassen, du Arschloch. Es war genau, wie du es sagst. Ich habe Beziehungen. Ich war achtundzwanzig Jahre lang Lotse. Dieses Schiff hier«, er klopfte mit dem Finger auf den Tisch, »das war eines der letzten, verstehst du? Bevor bei mir das Licht ausging. Mit Hendrik, das ist eine alte Freundschaft. Er schuldet mir was. Verstehst du? Ich hab mehr als einmal ein Auge zugedrückt, wenn er wieder mit irgendeinem Dreckszeug hier ankam. Er ist ein Arschloch, wie du. Aber bei ihm ist es verständlich. Vierzig Jahre auf See, immer nur Wasser unter den Füßen, das kann einer wie du sich gar nicht vorstellen. Da wird man merkwürdig, man weiß nicht mehr, wie die Menschen ticken. Das Meer hat noch jeden verändert, es frisst deinen Verstand auf. Du könntest genauso gut vierzig Jahre lang in einer Höhle in der Wüste leben wie unser Herr Jesus Christus.« Jorn strich sich mit dem Daumen nachlässig über Stirn, Kinnund Brust. »Nicht, dass ich damit sagen will, dass Christus auch den Verstand verloren hat. Dass du das nicht falsch verstehst.«
    »Es waren bei Christus ja auch nur vierzig Tage. Und dieser Hendrik. Meinst du den Kapitän? Baxter?«
    »Baxter! Er heißt nicht Baxter. Er glaubt vielleicht, dass er so heißt. Ich weiß nicht, ich sag ja, er ist verrückt. Aber dann dachte ich, dass er mir noch einen Gefallen schuldet. Verstehst du? Ich wusste, wann das Schiff in Antwerpen einläuft, ich hab Freunde bei der Hafenverwaltung.« Er steckte sich eine neue Zigarette in den Mund, verkehrt herum.
    Jensen schwieg und schaute mit einer gewissen Freude zu, wie Jorn den Filter anzündete.
    »Scheiße.« Jorn drückte den Filter auf dem Tisch aus. »Am falschen Ende angezündet. Am falschen Ende gelebt, verstehst du. Das sind alles Zeichen. Es geschieht nichts aus Zufall. Trees hätte das nicht überlebt. Das hast du gesagt, und du hast recht. Sie hätte es nicht überlebt. Sie hat nur noch gestampfte Kartoffeln gegessen, ohne Butter. Du hast ja keine Ahnung. Sie kochte früher Lammbraten, Schweinebraten, das schmeckte wie im Restaurant, sie hätte damit Geld verdienen können. Ein Rezept von ihr haben sie sogar abgedruckt, im ›Nieuwsblad‹. Sie hat Kräuter erfunden, verstehst du, ich meine Mischungen. Sie hat sie in diese kleinen Töpfchen abgefüllt, aus Plastik. Das schmeckte jeden Sonntag anders, Schweinebraten, aber es schmeckte jedes Mal anders, das hat sie geliebt. Sie hat das Kochen geliebt, und ich … ich war stolz auf sie. Sie konnte

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