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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Jensen. »Es muss genäht werden. Gibt es hier einen Schiffsarzt? Es gibt doch bestimmt einen. Gehen Sie zum Kapitän und sagen Sie ihm, dass er mir den Schiffsarzt schicken soll.«
    Jorn Lachaerts Blick hatte keine Mitte, es war, als habe der Suff die Pupillen weggespült.
    »Ich bin Jorn«, sagte er. Er streckte Jensen über den Verbandskasten hinweg die Hand hin. »Das ist mir wichtig. Sagen wir du.«
    »Gibt es hier einen Arzt? Jorn.«
    »Das ist ein Frachtschiff.« Jorn schlug mit der Hand aufden Tisch. »Hier gibt es keinen Swimmingpool, verstehst du? Ein Schiff ohne Swimmingpool ist ein Schiff ohne Arzt.« Er trank einen Schluck aus seiner Flasche.
    Jensen schüttete sich den Rest des Desinfektionsmittels über den Fuß. Es brannte nicht genug, es hätte sehr viel stärker brennen müssen, zum Zeichen dafür, dass das Mittel die Wunde gründlich von Keimen säuberte.
    »Was trinkst du da?«, fragte Jensen. »Gin?«
    »Nimm einen Schluck.«
    »Ja. Gib her.« Es war besser als nichts.
    Er goss sich den Gin über den Fuß. Und jetzt brannte es. Vierzig Prozent Alkohol, dachte Jensen. Das reichte nicht. Es hätten siebzig Prozent sein müssen, um die Keime unter die Infektionsstufe zu drücken. Aber immerhin platzten jetzt einige Zellwände mehr, jede tote Bakterie zählte.
    »Ich brauche noch mehr davon«, sagte Jensen.
    »Ich auch.« Jorn stand auf. »Bin gleich wieder hier. Du bleibst am besten einfach da, wo du bist. Ich dürfte dich hier gar nicht … verstehst du? Das sieht er nicht gern.« Er schwankte zur Tür, drehte sich um und schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, sagte er. »Ich muss abschließen. Nimm’s mir nicht übel.«
    Mach, was du willst, dachte Jensen.
    Während er auf den Gin wartete, schaute er sich die Fotos an, mit denen ein obsessiver Hundenarr den Aufenthaltsraum bis in den letzten Winkel dekoriert hatte. Hundeköpfe, mit und ohne Zunge, manche aus Tiermagazinen ausgeschnitten; ein Raum voller treuherziger Blicke, es wirkte wie ein Hilferuf. Aus Bastkörbchen reckten Welpen ihre Hälse. Wenn man den mit Hundefotos vollgepflasterten Raum im Ganzen betrachtete, kristallisierte sich eine Vorliebe für Windhunde heraus.
    Jorn schloss die Tür wieder auf, zwei Flaschen brachte er mit. Eine stellte er Jensen hin.
    »Für dich.«
    Jensen übergoss seinen Fuß damit, das mit Gin vermischte Blut rann auf den Boden; der Raum stank inzwischen wie das Innere eines Schnapsfasses. Gaze war genügend vorhanden, Jensen wickelte sich die erste Rolle um den Fuß, sein Ziel war ein Druckverband, damit die Wunde sich einigermaßen schloss. Jorn schaute zu, eine Zigarette hing ihm im Mundwinkel. Er zündete sie sich an.
    »Ja«, sagte er. »So ist es. Siehst du? Ich rauche jetzt wieder. Das ist jetzt nämlich egal.«
    Er blies den Rauch in Jensens Richtung.
    »Ich hab’s mir abgewöhnt. Wegen Trees. Wegen ihrem Infarkt. Damit sie gesund lebt. Und weißt du was?« Er schlug mit der Faust auf den Tisch und verzog das Gesicht. Sein Mund stand offen. Ein Speichelfaden hing ihm an den Lippen. »Weißt du zum Teufel, was los ist! Sie ist tot!«, rief er. Er zeigte Jensen das zur Grimasse entstellte Gesicht eines trauernden Trinkers. Die Trauer war echt, aber die Mimik wirkte grotesk.
    »Dann weißt du es also«, sagte Jensen.
    Jorn konnte nicht weinen, es kamen keine Tränen, ihm lief nur der Speichel über das Kinn.
    »Das ist nicht gerecht«, sagte er heiser. »Das ist einfach nicht gerecht. Weißt du, was ich denke?« Die Asche seiner Zigarette fiel in den Verbandskasten. »Ich denke, das Leben ist für Tiere. Es ist nicht für Menschen. Es ist gut für Tiere, für Hunde. Wie die da. Für Hunde, die an nichts hängen außer an ihrem beschissenen Herrchen. Und wenn das Herrchen stirbt, weißt du, was die Hunde dann machen? Sie fressen ihn auf. Wenn sie Hunger haben, fressen sie ihn einfach auf.« Er versuchte, sich die Zigarette in den Mundzu stecken, langsam glitten seine Finger vom Kinn höher zu den Lippen.
    Er lügt, dachte Jensen.
    »Du hattest doch einen Schlaganfall«, sagte Jensen.
    »Was?«
    »Du hattest einen Schlaganfall. Als du noch als Lotse gearbeitet hast. Sie haben dich entlassen, und deshalb seid ihr nach Brügge gezogen, du und Trees. Du hast nach deinem Schlaganfall mit dem Rauchen aufgehört. Und nicht wegen Trees.«
    Es war eine Nebensächlichkeit, aber Jensen wollte Jorn jetzt nichts durchgehen lassen.
    »Du Scheißkerl«, sagte Jorn. »Was weißt du schon.«
    »Du hast mit dem Rauchen

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